Hamburg

Dänische Planungsexpertin: „Entschleunigt die Stadt“

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Matthias Iken
Die dänische Stadtplanerin Birgitte Bundesen Svarre vor der Patriotischen Gesellschaft

Die dänische Stadtplanerin Birgitte Bundesen Svarre vor der Patriotischen Gesellschaft

Foto: Roland Magunia / HA

Die dänische Planungsexpertin Birgitte Bundesen Svarre besucht Hamburg. Gemeinsamer Prozess soll Innenstadt beleben.

Hamburg.  Kopenhagen! Für Stadtplaner gibt es derzeit keine Stadt, die attraktiver und interessanter, vorbildlicher und zeitgemäßer ist. Die dänische Hauptstadt ist in den vergangenen Jahren dreimal zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt und wegen ihres zukunftsweisenden Verkehrskonzepts zum Pilgerort geworden. Dieser Ruf wie Donnerhall ist mit einem Planungsbüro verbunden – Jan Gehl. Es hat nicht nur Kopenhagen aufgewertet, sondern auch Moskau umgebaut und sogar den Broadway in New York in eine verkehrsberuhigte Zone umgestaltet.

Seine Philosophie ist die Antithese zur autogerechten Stadt, die viele Zentren verheert hat. Er predigt die menschengerechte Stadt. „Wir sind dazu gedacht zu laufen“, sagt Gehl. Er will entschleunigen: Sitzende und gehende Menschen seien ein Zeichen für eine funktionierende und lebendige Metropole. Der neue Hamburger Oberbaudirektor Franz-Josef Höing lobte Gehl noch in seiner Kölner Zeit als „einen der weltweit klügsten Köpfe in Bezug auf die Gestaltung von Straßen und Plätzen“.

Sie hat eine Menge Ideen im Gepäck

In diesen Tagen ist Birgitte Bundesen Svarre, Partnerin beim Team Jan Gehl, auf Einladung der Alfred-Toepfer-Stiftung in der Hansestadt – und hat eine Menge Ideen im Gepäck. „Kopenhagen hat sich von einer Metropole für Autos zu einer Metropole für Menschen verwandelt“, sagt sie. Der Umbau der Stadt verlief in mehreren Phasen.

Zunächst wurden Straßen zu Fußgängerzonen und Plätze autofrei. Wo früher Fahrzeuge parkten sind nun Straßencafés; Freiräume verwandelten sich in Aktivitäts-Parks, in denen die Menschen Sport machen, spielen oder sich erholen können. Die Stadt wurde entschleunigt, im Mittelpunkt stehen fortan die Fußgänger. Heute werden die Bürgersteige durchgängig geführt, Bordsteine sind abgesenkt – viele Straßen gehören allen, aber Fußgänger und Fahrradfahrer genießen Vorrang.

Vision von Stadt entwickeln

Zunächst reagierten etliche Kopenhagener skeptisch auf die weitreichenden Pläne, die in die 60er-Jahre zurückreichen. Einzelhändler sorgten sich um ihre Umsätze, und viele hielten Straßencafés im von der Sonne vernachlässigten Norden für eine Schnapsidee. Die Ängste waren unbegründet, die Innenstadt verwaiste nicht, sondern belebte sich. Kopenhagen setzte auf einen evolutionären statt revolutionären Prozess. „Jedes Jahr fielen zwei bis drei Prozent der Parkplätze weg, ohne dass darüber groß gesprochen wurde“, sagt Bundesen Svarre.

Der Weg ist längst unumstritten. „Heute haben wir einen breiten Konsens.“ Wichtig sei, dass die politischen Entscheider eine Vision von Stadt entwickelten. So gelang dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg etwas Ungeheuerliches: Er ließ den Times Square verkehrsberuhigen, weil er New York lebenswerter und grüner machen wollte. New York, Bern, Melbourne, Kopenhagen – die Liste der sich wandelnden Städte ist lang. Die Lehren dieses Veränderungsprozesses hat Svarre gerade mit Jan Gehl in dem Buch „Leben in den Städten“ (Birkhäuser Basel) auf Deutsch publiziert.

Am Freitagnachmittag unternahm Bundesen Svarre auf Einladung der Pa­triotischen Gesellschaft einen Stadtbummel mit Interessierten durch Hamburg. „Der Rathausmarkt ist sehr schön“, sagt die Dänin. „Aber er funktioniert nicht richtig, er lädt nicht zum Verweilen ein.“ Eine Wunde Hamburgs sei die Schneise der früheren Ost-West-Straße. Die Fußgängerbrücke über die Hauptverkehrsstraße degradiere Passanten zu Verkehrsteilnehmern zweiter Klasse. „So etwas sehen wir heute nicht mehr so oft – und wenn, dann in osteuropäischen Städten wie Moskau.“ Die HafenCity sieht sie als gelungenes Beispiel für Stadtentwicklung. Eine lebenswerte Stadt, so Bundesen Svarre, zeichne sich dadurch aus, dass viele Kinder und alte Menschen auf der Straße sind.

Melbourne wurde zu pulsierender Metropole

Eine zentrale Strategie, um Innenstädte zu beleben, ist der Wohnungsbau. So wurde selbst eine tote City wie Melbourne, wegen der Leere im Innern als Donut verspottet, zur pulsierenden Metropole. Bundesen Svarre rechnet vor: „1982 gab es im Innern von Melbourne 685 Wohnungen, 2002 waren es 13.398“. Mit den Bewohnern kam das Leben, Plätze und Cafés füllten sich, Einzelhändler siedelten sich an. Eine Stadt mit Menschen ist nicht nur lebenswerter, sie ist auch sicherer.

Hier setzen auch die Evangelischen Akademie der Nordkirche und die Pa­triotische Gesellschaft an, die eine Strategie zur Belebung der Innenstadt entwickeln wollen. „Wir übernehmen die Rolle der Anwohner, die in der City ja fehlen“, sagt Wibke Kähler-Siemssen von der Patriotischen Gesellschaft. „Wir wollen die Hamburger an ihre Innenstadt erinnern“, betont Pastor Frank Engelbrecht von der Hauptkirche St. Katharinen. „Das Herz Hamburgs ist zerrissen, die Stadt braucht aber ein Herz. Eine Metropole ist mehr als die Summe ihrer Teile.“ An diesem Sonnabend soll eine Zukunftswerkstatt konkrete Ideen für eine „Altstadt für alle“ entwickeln helfen.

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