Sommerserie

Hamburgs unbekannte Inseln: Die Insel mitten in der Stadt

| Lesedauer: 5 Minuten
Edgar S. Hasse
Die Fleetinsel verbreitet im Sommer südländisches Flair – Blick über die Michaelisbrücke hin zum Restaurant Rialto

Die Fleetinsel verbreitet im Sommer südländisches Flair – Blick über die Michaelisbrücke hin zum Restaurant Rialto

Foto: Marcelo Hernandez / HA

Zweiter Teil der Serie: Die Fleetinsel ist Zentrum für Galerien und Cafébesucher. Weihnachtsmarkt schon lange mehr als ein Geheimtipp.

Hamburg.  Antiquarin Angelika Lemke steigt von der Leiter herab. Sie trägt ein Buch in der linken Hand, ein Bildband über europäische Kunst. Bis unter die Decke des Antiquariats in einem Wohn- und Geschäftshaus mit neugotischer Fassade an der Michaelisbrücke 3 stapeln sich Hunderte Bücher. „Wir haben hier oft Touristen und mit ihnen ein gut gelauntes Publikum“, sagt Lemke.

Kein Wunder. Draußen, vor der Tür des Kunstantiquariats Joachim Lührs, fließen auf der einen Seite das rund ein Kilometer lange Alsterfleet und auf der anderen Seite das Herrengrabenfleet samt Bleichenfleet.

Senat wollte historische Häuser abreißen

Mittendrin die Michaelisbrücke, an deren Geländer sogenannte Liebesschlösser hängen. Diese Fleete um­spülen mit meist trübem Wasser Hamburgs einziges und relativ ruhiges City-Eiland: die Fleetinsel. Das Fünfsterne-Hotel Steigenberger überragt das steinerne Stadtquartier und ist nah ans Wasser des Alsterfleets gebaut.

Das im Zweiten Weltkrieg erheblich zerstörte Miniviertel im schmalen Handtuchformat gibt seine wassernahe Lage zwischen Jungfernstieg und Baumwall nur auf den zweiten Blick preis. Obwohl beide Fleete unweit voneinander entfernt sind, dominieren im Auge des Betrachters die vielen Häuser, während der Verkehr der Ludwig-Erhard-Straße in der Ferne pausenlos für ein starkes Grundrauschen sorgt. „Zum Glück gibt es bei uns weniger Autos und zurzeit keine Baustellen“, sagt Antiquarin Lemke. Sie sei gern auf der Fleetinsel tätig. „Schließlich steht in der Admiralitätstraße eine Kunstgalerie neben der anderen.“

Die Insulaner arbeiten wie sie als Buchverkäuferin oder als Ärzte und Krankenschwestern in der Fleet-Klinik, als Gastronomen und Kellnerinnen im benachbarten Rialto, Marinehof oder in der Erste Liebe Bar. Vor allem aber prägen zehn international bekannte Kunstgalerien das Flair der Fleetinsel, die als schmaler Landstreifen zwischen Stadthausbrücke und Baumwall die Altstadt mit der „neuen“ Neustadt verbindet. „Die Fleetinsel ist immer ein Anziehungspunkt für Künstler und Kreative in dieser Stadt gewesen“, sagt der Galerist Jürgen Becker.

Seit fast 30 Jahren ist seine Galerie in der Admiralitätstraße 71 frequentierter Ort von Ausstellungen bedeutender Künstler – Beuys, Baldessari, Ruschka, Polke. „Die Fleetinsel hat sich über Jahrzehnte zu einem Galeriezen­trum entwickelt, das international bekannt ist“, sagt Jürgen Becker. Dazu komme ein, wie er hinzufügt, „unprätentiöses Umfeld“ mit guten Restaurants, Buchhandlungen und Cafés.

Viele Jahre lang fand hier im Sommer das beliebte Duckstein Festival statt. Bis der Platz bei gestiegener Besucherzahl zu eng wurde. Jetzt ist die HafenCity der neue Veranstaltungsort. Dafür ist der Weihnachtsmarkt mit den weißen, spitzen Zelten schon lange mehr als ein Geheimtipp. Und der begrenzte Raum sei auch ein Vorteil, sagt eine Galerie-Mitarbeiterin. „Denn jeder kennt hier jeden.“ Das sei ein bisschen wie in einem Dorf.

Eigentlich wollte der Senat in den 1980er-Jahren alle historischen Häuser auf der Fleetinsel abreißen und das Areal neu bebauen. Aber Kunstmäzen und Jurist Hans Jochen „Jockel“ Waitz und Architekt Jan Störmer erreichten mit dem damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und Ex-Kultursenator Ingo von Münch, dass die Kontor- und Lagerhäuser aus dem 19. Jahrhundert entlang der Admiralitätstraße und dem Alsterfleet unter Denkmalschutz gestellt wurden. Damit legten sie den Grundstein für das heutige Kunstquartier.

Auf knappem Raum und fast ohne Grün zeigt die feine Insel der Fleete daher nun zwei Gesichter: Die Admiralitätstraße vereint die Kontraste – das alte und das ganz neue Hamburg – auf besondere Weise: Künstler, die in Kontorhäusern und Lagergebäuden mit Wasserblick arbeiten. Büromitarbeiter, die mittags im gläsernen Fleethof flanieren. Und Kassenpatienten, die in hellen Zimmern der Klinik Fleetinsel auf Genesung warten. Die Patienten der auf Orthopädie spezialisierten Klinik werden übrigens kulinarisch direkt vom Steigenberger Hotel versorgt.

Die Fleetinsel, fasst das „Innenstadtkonzept Hamburg 2014“ die wechselvolle Entwicklung zusammen, sei ein „frühes Beispiel für die Hinwendung zum Wasser sowie für die Neuinterpretation des historischen Stadtgrundrisses“. Der Erhalt des historischen Teils mit seinem kulturellen und gastronomischen Schwerpunkt sei „ein gutes Beispiel städtischer und privatwirtschaftlicher Initiative“.

Die Fleetinsel

Wer aus dem Fenster der alten Kontorhäuser schaut, sieht Tauben, Amseln und Möwen, die häufigsten Vogelarten im Fleetviertel. Auch im Wasser tummelt sich allerlei Getier. Zwei Angler stehen gerade still am Alsterfleet. „Vor einer Woche haben wir hier einen Zander gefangen“, sagt einer von ihnen. Tatsächlich bieten die Fleete Lebensraum für den Speisefisch, der 80 Zentimeter groß werden kann.

Die Fleete haben der ruhigen City-Insel ihren Namen gegeben. Anders als Kanäle sind Fleete (niederdeutsch für „Fließe“) tideabhängig. Herrscht Ebbe, fallen sie teilweise trocken. Die (Ge-)Zeiten dürften auch weiterhin bewegt bleiben auf dem schmalen Inselstreifen im Herzen der Stadt.

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