Für viele prominente Hamburger zählt die tägliche Lektüre fest zum Leben. Einige erzählen von ihrer Beziehung zu ihrer Hamburger Zeitung.

Zum Ausblick auf das neue Jahr gehört auch eine Rückbetrachtung - auf bald 65 Jahre Hamburger Abendblatt. "Diese Zeitung ist der Inbegriff unserer Stadt", sagte Unternehmer Alexander Otto. Er selbst stand erstmals 1975 im Blatt. An der Seite seines Vaters Werner Otto, dem Versandhausgründer, erlebte der achtjährige HSV-Fan und heutige Aufsichtsratschef des Vereins seine Premiere im Volksparkstadion. Die kleinen Geplänkel im Hause Otto haben sich nicht verändert. Auch heute noch ist ungeklärt, ob erst der Vater Alexander den Sportteil lesen darf.

Aufsichtsratskollege Jürgen Hunke, der Retter der Kammerspiele, hat das Abendblatt seit Jahrzehnten abonniert. "Irgendwie ist es Teil des eigenen Lebens", sagt der Kaufmann, "und man merkt oft erst bei Auslandsreisen, wie gut man es zu Hause mit dieser Zeitung hat." Auch Bernd-Georg Spies, Vizepräsident des FC St. Pauli, schätzt das klassische Gefühl: "Bei allem Faible fürs Internet ist es etwas Besonderes, bedrucktes Papier in der Hand zu halten und Lesen zu genießen."

Ähnlich sieht es Theater-Legende Eberhard Möbius, seit seinem Umzug aus Stralsund 1958 treuer Leser. In einer Glosse schrieb er einst über den Neujahrsempfang im Atlantic als "ein Treffen unter grüner Fahne" - aber nicht unter der des Islam. Wie "Möbi" schätzt auch Musik-Professor Hermann Rauhe das allmorgendliche Ritual: an den Postkasten gehen, Abendblatt herausziehen, Muße finden. Rauhe zählt seit 1950 zum Stamm. "Grund war die Freundschaft zum Verleger Axel Springer", erzählt er. In den 1940er-Jahren praktizierten beide im Alsterpavillon Swing: Rauhe saß am Schlagzeug, Springer sang. Es war während der Nazi-Diktatur ein Protest mit Note.

Zu den Käufern der ersten Abendblatt-Stunde zählt auch Professor Heiner Greten, Leiter des Hanseatischen Herzzentrums und Leibarzt Helmut Schmidts: "Es war 1948, ich war zehn Jahre alt und fuhr mit einem selbst angestrichenen, schwarzen Damenfahrrad von meinem Elternhaus in der Uhlandstraße zur neuen Abendblatt-Geschäftsstelle am Gänsemarkt." Ein Teil des Taschengelds, zwei Mark im Monat, wurde in eine druckfrische Ausgabe investiert. "Ich bin lebenslang treu geblieben", sagt Greten.

Fernsehjournalistin Floria Fee Fassihi berichtete von einem Abendblatt-Praktikum während ihres Studiums, und Leser Boyke Christensen beschrieb das Weihnachtsgeschenk seiner Mutter: eine Abendblatt-Sonderausgabe zur Sturmflut 1962. Landesrabbiner Shlomo Bistritzky will nach der hebräischen Zeitung "Mishpacha" nun auch das Abendblatt bestellen. Christian Jacobs, Rechtsanwalt, Mitglied der namhaften Bremer Kaffeefamilie und seit 15 Jahren in Hamburg ansässig, schildert sein allmorgendliches Leseverhalten so: "Erst ,Neue Zürcher Zeitung', dann Abendblatt, dann ,FAZ'." Schauspielerin Johanna Wokalek ("Die Päpstin") aus Wien ist durch die Stadtteilserie auf ganz neue Seiten Hamburgs gestoßen.

"Meine Eltern genossen die neue Freiheit und waren von der Erstausgabe an Abonnenten", erinnert sich der frühere Bürgermeister Henning Voscherau. "Als Steppke haben mich natürlich besonders die Bilder interessiert." Damals wie heute verkörpere das Abendblatt die Seele Hamburgs.

Andere kamen erst später auf den Geschmack. So wie O2-World- und Freezers-Geschäftsführer Uwe Frommhold, der seine ersten Abendblätter im Hotel Atlantic las - als Lehrling, der 1993 Direktor wurde. Bernd Schiphorst, Aufsichtsratschef von Hertha BSC Berlin, wurde nach seinem Umzug 1993 Abonnent. Kabarettist Hans Scheibner schrieb sechs Jahre eine wöchentliche Kolumne und meinte augenzwinkernd: "Der Politikteil ist auch beruflich zu verwenden." Zudem habe ihm das Abendblatt als Malermütze gedient - nach ausführlicher Lektüre, versteht sich. Praktische Erinnerungen hat auch Frederik Braun, Gründer des Miniatur-Wunderlandes in der Speicherstadt: "Mein Bruder Gerrit und ich haben als kleine Jungs stundenlang die Abendblatt-Logos aus der Titelseite geschnitten und gesammelt." Erstmals stand der Unternehmer mit 14 Jahren selbst im Abendblatt. Mit der Spendendose sammelte der Schüler 1971 für das Rote Kreuz 5000 Mark. Das war Hamburger Rekord.