Bahrenfeld

Bauwagengruppe wohnt in Seniorenheim-Park

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Axel Tiedemann

Die Gruppe Zomia ist auf das Areal des Seniorenheims Lutherpark nach Bahrenfeld gezogen. Nachbarn nehmen es gelassen.

Hamburg. Der Holstenkamp ist hier an seinem Ende kurz vor dem Autobahndamm eine eher rumpelige Straße, die vorbei an Schrebergärten und Friedhof zu einem parkähnlichen Gelände mit alten Backsteingebäuden führt. "Mein Zuhause im Grünen", so wirbt das einst städtische Unternehmen Pflegen & Wohnen für sein Seniorenheim Lutherpark, das da zwischen mächtigen Rhododendrenbüschen steht. Seit einigen Tagen ist das Areal jetzt auch das Zuhause von 15 jüngeren Leuten, die in Bauwagen leben. Jenen Fahrzeugen mit hohen Reifen und rundem Dach, wie sie früher Bauarbeiter für Pausen nutzten, als es noch keine Blechcontainer gab.

Rot oder blau sind sie gestrichen, manche haben eine Kiefernholzfassade; aus Schornsteinen der im Kreis aufgestellten Wagen quillt feiner, weißer Rauch. Ein paar Holzpaletten sind ordentlich aufgestapelt, etwas abseits steht ein kleiner Sanitärwagen. Eine Szenerie, die bei flüchtigem Betrachten wirkt, als hätte mitten in einem Park ein Zirkus Quartier bezogen.

Und es war auch eine Art Zirkus, die die Gruppe von ihrem früheren Platz in Wilhelmsburg dorthin verschlagen hat. Ein politischer Zirkus, der bis ins Hamburger Rathaus reichte und zu einem Pingpong-Spiel vor allem zwischen SPD Mitte und SPD Altona wurde.

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Die Räumungsverkündung durch den Bezirksamtsleiter Mitte, Markus Schreiber (SPD), war ein Akt des Schauspiels, eine symbolische Bauwagen-Besetzung eines anderen Areals samt Polizeieinsatz und schließlich eine Art Showdown während einer abendlichen Sitzung der Bezirksversammlung in Altona die weiteren. Es gab Stimmen, die sich über das "Anspruchsdenken" der Bauwagenleute erregten, weil sie Alternativangebote hätten verstreichen lassen. Und es gab heftige Proteste, weil ein "friedliches Wohnprojekt" ohne wirkliche Not von politischen Hardlinern geräumt werden sollte, wie es hieß. Eine tatsächliche Räumung hätte daher schnell in heftige Demonstrationen ausarten können. Ein Politikum um 15 junge Menschen, das tagelang die Stadt beschäftigte.

"Zomia" nennt sich die Gruppe, benannt nach Bergvölkern, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Südostasien fernab von staatlichen Machtgefügen gelebt haben sollen. Ganz so isoliert wie in den Bergen irgendwo bei Vietnam lässt es sich in Hamburg aber nicht leben. Auch nicht am Ende des Holstenkamps. Einzelne Besucher des Heims und Anwohner spazieren über das Gelände, sehen sich die bunte Wagenburg an. Anfangs hatte man im Seniorenheim die Befürchtung, dass ein solcher Platz Besucher davon abbringen könnte, hier ihre Angehörigen unterzubringen. Chaos, Müll - das wollte man nicht haben. "Doch inzwischen habe ich mit den jungen Menschen gesprochen und sie besucht", sagt Heimdirektor Gerd-Rüdiger Kollien. "Das sind vernünftige Leute, die studieren oder arbeiten und nur anders leben wollen." Donnerstag schon soll es einen ersten gemeinsamen Kennenlernabend zwischen Zomia und den Heimbewohnern geben. "Für die alten Leute hier ist das doch eher eine Abwechslung, da darf man jetzt keine Vorurteile haben", sagt dann auch ein 62-jährger Mann, der seinen alten Vater im Heim besucht. "Immer wird diese Ecke für Randgruppen genutzt", zürnt indes ein Anwohner. Tatsächlich gibt es am Anfang der Straße einige schmutzigweiße Container, in denen die Stadt Drogenabhängige untergebracht hat. In einem der sanierten Backsteinbauten wohnten früher obdachlose Punks. Und viele Jahrzehnte war das einst städtische Gelände Unterkunft für Obdachlose, später für Aussiedler. Jetzt gibt es neue Wohnungsbaupläne für das Areal.

Nur bis zum 15. Januar soll Zomia daher dort bleiben können, bis dahin, so hat die Bezirkspolitik in Altona versprochen, werde ein dauerhafter Platz gefunden sein. Natürlich in Altona, "der Bezirk mit offenem Tor im Wappen", wie der Vorsitzende der Bezirksversammlung Frank Toussaint (SPD) sagt und sich damit in Überstimmung aller Fraktionen sieht. Hinter den Kulissen arbeiteten der CDU- und der Linken-Fraktionschef gemeinsam an einem Kompromiss mit, damit der Zomia-Gruppe und der gesamten Stadt eine Räumung erspart blieb. Man gefällt sich in Altona eben in der Wahrnehmung, toleranter zu sein als anderswo in Hamburg. Vor allem als im benachbarten Bezirk Mitte: Dort hatte sich die Gruppe im November vor gut einem Jahr auf einer abgelegenen Industriefläche zusammengefunden. Zuvor lebten sie mit ihren Wagen einzeln in Hinterhöfen, sagt Kai Mehring. Der blonde, 28 Jahre alte Geografiestudent lehnt an seinem Wagen, den er selbst umgebaut hat. Selbst etwas zu bauen, mobil zu sein und wohnen mit minimalen Ansprüchen, das sei für ihn der Reiz für ein Leben im Bauwagen. "Man lebt in einer starken Gruppe und hat doch sein eigenes Schneckenhaus", sagt er. Geheizt wird mit Holz, gekocht mit Gasflaschen. Eine Nischenwohnform, wie er sagt, für die es in einer großen Stadt doch Platz geben müsste, wenn niemand gestört wird.

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