Die Ausgrenzung der Obdachlosen durch Bezirksamtsleiter Schreiber war ein überraschender Rückschlag, findet Birgit Müller.

Hamburg. Nachträglich muss man Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) fast dankbar sein für seine brachiale Methode, das Thema Obdachlose noch vor Wintereinbruch ins Gespräch zu bringen. Auch wenn der Zoff um den Zaun an der Kersten-Miles-Brücke 18 000 Euro gekostet hat: Selten in der Geschichte Hamburgs bekam ein runder Tisch zum Thema Obdachlosigkeit so viel Aufmerksamkeit wie dieser. An ihm sitzen alle, die die Situation unter der Brücke verbessern können - und zwar nur gemeinsam: soziale Einrichtungen, Sozialbehörde, Bürgerverein, Polizei und natürlich Markus Schreiber.

Toll wäre, wenn der City-Bürgermeister jetzt die Chance ergreifen würde, umzuschulen: vom Sheriff zum Moderator der Herausforderungen in seinem Bezirk. Egal, ob es um die Kersten-Miles-Brücke, den Hachmannplatz oder den Bauwagenplatz Zomia geht. Schreibers Schnellschuss hatte uns bei "Hinz & Kunzt" schwer irritiert. Denn wir hatten gerade den Eindruck, es tut sich was in der Wohnungslosenpolitik. Wir sind ja normalerweise äußerst kritisch, aber mit dem SPD-Senat wurden erstmals Themen angegangen, die jahrelang vor sich hindümpelten. Sozialsenator Detlef Scheele hatte versprochen, sich schnell einzuarbeiten. Das war insofern leicht, als seine Fraktion in der Opposition beste Vorarbeit geleistet hatte - mit einem Konzept, das alle Experten begrüßt hatten. Aber Papier ist geduldig. In der Opposition kann man leicht fordern, mehr Wohnungen und mehr Unterkünfte zu bauen, die Vermittlung in Wohnraum zu fördern und ein Winternotprogramm vorzuhalten, in dem jeder einen würdigen Schlafplatz findet. In dem Papier wurde erstmals auf ein anderes Problem hingewiesen: die vielen EU-Verlierer, die auch in Hamburg stranden. Hier forderte die SPD-Fraktion eine Anlaufstelle für osteuropäische Obdachlose. Erstmals seit Jahren, so kommt es uns vor, hat ein Politiker erkannt, dass Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit in Hamburg zu den drängendsten Themen gehören. Fürs Winternotprogramm ist Hamburg besser aufgestellt als im vergangenen Jahr. Eine Anlaufstelle für osteuropäische Obdachlose soll es auch geben.

+++ Zweiter "Runder Tisch Zaun": Opposition vertreten +++

Wie sehr uns die letzten Jahre zugesetzt haben, merken wir daran, dass wir Tränen der Rührung in den Augen haben, weil ein Senator den Bunker für unzumutbar hält - für Mitarbeiter und Bewohner. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Zur Erinnerung: Der schwarz-grüne Senat hatte im letzten Winter den Bunker am Hauptbahnhof geöffnet, in dem Dutzende Männer in einem fensterlosen Raum schlafen mussten, mit zu kleinen Pritschen, ohne Duschen, mit Toiletten ohne Tür.

Trotz allen Lobs: Wir sind weit entfernt davon, die Probleme im Griff zu haben. Weder werden die notwendigen bezahlbaren Wohnungen gebaut, noch gibt es die notwendigen Unterkünfte. 500 neue Plätze sollen in allen Bezirken geschaffen werden, für Obdachlose und Flüchtlinge. Aber - machen wir uns nichts vor - diese reichen nicht aus. Zu befürchten ist außerdem, dass ängstliche Bürger Unterkünfte verhindern wollen. Und da kommt der runde Tisch ins Gespräch. Markus Schreiber und sein Schnellschuss haben noch mal deutlich gemacht: Alle Betroffenen müssen miteinbezogen werden, natürlich auch die zukünftigen Nachbarn.

Runde Tische sind kein Allheilmittel, aber hier wird geklärt: Welche sozialen Schieflagen haben wir, wie lösen wir sie? Welche Ansprechpartner gibt es? Welche Maßnahmen sind notwendig, wofür müssen wir Geld ausgeben? Runde Tische schaffen Vertrauen.

In der City haben wir seit zehn Jahren einen runden Tisch - mit Geschäftsleuten und sozialen Einrichtungen. Anfangs schienen die Gräben unüberwindlich, heute ziehen wir meist an einem Strang. Und allein das ist mehr, als wir je erwartet haben. Toll wäre, wenn wir das am Ende der Amtszeit auch von diesem Senat sagen könnten.

Birgit Müller, 55, ist Chefredakteurin der Obdachlosen-Zeitschrift "Hinz&Kunzt"