Politisch wurde der Neujahrsempfang des Abendblatts geprägt von Hamburgs Titel “Europäische Umwelthauptstadt 2011“. Chefredakteur Claus Strunz unterzog Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) und Herausforderer Olaf Scholz (SPD) einem Umwelt-Check - und bekam ein unerwartetes Mitbringsel vom Senatschef

Hamburg. Grün ist die Aussicht des Bürgermeisters und seines Herausforderers. Sie blicken auf Zuschauer und Bäume in der gefüllten Halle. Beide wirken angriffslustig.

Claus Strunz:

Herr Scholz, unser Thema ist die Umwelthauptstadt. Wie sind Sie eigentlich hierhergekommen?

Olaf Scholz:

Mit dem Auto.

Strunz:

Das macht Ihnen keine Sorgen?

Scholz:

Das macht mir gar keine Sorgen. Man muss ab und zu Auto fahren. Ich tue es sogar gerne.

Strunz:

Und der Verbrauch - acht Liter pro 100 Kilometer in der Stadt?

Scholz:

Fünf Komma etwas.

Strunz:

Herr Ahlhaus, wir haben bei uns zu Hause entschieden, auf 100 Prozent erneuerbare Energien beim Strom umzustellen. Sie auch?

Christoph Ahlhaus:

Noch nicht, nein. Aber ich befasse mich mit diesem Thema, weil ich, wie die Stadt weiß, umziehen werde. Da stehen auch solche Entscheidungen an.

Strunz:

Sind Sie bereit, mehr Geld dafür auszugeben, damit das Haus ökologisch besonders wertvoll ist?

Ahlhaus:

Aber meistens ist das, was ökologisch wertvoll ist, auf Dauer auch wirtschaftlicher.

Strunz:

Herr Scholz, würden Sie sagen, dass Sie grün leben?

Scholz:

Nein, das wäre ziemlich vermessen angesichts des Lebenswandels eines Politikers, der alleine mit seinen Flügen und all dem, was er sonst macht, einen ziemlichen CO2-Footprint hinterlässt, um das mit neuen Worten zu sagen. Ich versuche es manchmal an der einen oder anderen Stelle. Ich habe damals mit meiner Frau besprochen, dass wir den Strom bei einer Hamburger Firma beziehen, die sich ausschließlich auf erneuerbare Energien konzentriert und nicht der Stadt gehört.

Strunz:

Nur 17 Prozent der Hamburger würden laut einer Umfrage von abendblatt.de eine Veranstaltung der Green Capital besuchen. Herr Ahlhaus, was wollen Sie tun, um Interesse zu wecken?

Ahlhaus:

Das ist in der Tat viel zu wenig. Hamburg hat mit dem Titel der Umwelthauptstadt eine riesengroße Chance. Es muss die Aufgabe von Politik sein, dafür zu werben und Interesse zu wecken. Zu zeigen, wie innovativ, wie gut und vor allen Dingen wie wertvoll für Wohlstand und Arbeitsplätze dieser Titel sein kann.

Strunz:

Wenn diesem Plädoyer Taten folgen, dann könnte ich Herrn Ahlhaus dafür glatt wählen. Wie würden Sie, Herr Scholz, mich noch umstimmen?

Scholz:

Das Wichtigste, wenn wir über die Zukunft, über den Klimawandel sprechen, ist, dass wir versuchen, möglichst viele Taten zustande zu bringen. Das geschieht ganz besonders bei der Industrie. Hamburg ist eine Industriestadt. Ich bin sehr froh, dass sich in Hamburg in wachsendem Maße manche Entscheidungszentralen, die sich mit erneuerbaren Energien beschäftigen, in der Stadt entwickeln. Das kann man und muss man fortsetzen.

Strunz:

Herr Ahlhaus, könnten Sie und Herr Scholz diesen Punkt nicht gleich miteinander regeln?

Ahlhaus:

Dem stimme ich hundertprozentig zu. Auch bedanke ich mich für das Lob. In der Tat ist es ein großer Erfolg für die Stadt, dass es gelungen ist, in kurzer Zeit mittelständische Unternehmen, die sich im Bereich grüne Technologie hervortun, hier nach Hamburg zu holen, aber auch die großen Dickschiffe wie zum Beispiel Siemens, die ihre Windenergie-Zentrale nach Hamburg verlegt haben.

Strunz:

Jetzt der Praxistest. Herr Scholz, in welche Tonne kommen Joghurtbecher?

Scholz:

In die gelbe.

Strunz:

Stimmt. Herr Ahlhaus: Der Kaffeefilter kommt in welche Tonne?

Ahlhaus:

Das ist Bioabfall.

Strunz:

Richtig, also grüne Tonne. Herr Scholz, in Aluminiumfolie eingepacktes Butterbrot?

Scholz:

Kenne ich nicht.

Ahlhaus:

Das packt man nicht in Aluminium ein, es gibt wunderschöne Papierverpackungen.

Strunz:

Ich stelle fest: Beide Herren wissen nicht, wie man Aluminiumfolie entsorgt. Es wäre übrigens die gelbe Tonne und für den Inhalt die grüne Tonne. Letzte Frage: alte Batterien?

Ahlhaus:

Das ist Spezialmüll. Die kommen in die Spezialtonne, oder man gibt sie dort ab, wo man sie gekauft hat.

Strunz:

Beide Kandidaten kommen mit der Mülltrennung ganz gut klar. Sie gelten auch beide eher als politische Handwerker und weniger als strahlende Charismatiker. Herr Ahlhaus, was kann Herr Scholz eigentlich besser als Sie?

Ahlhaus:

Politik und Wettkampf leben davon, dass jeder zeigt, was er kann, und nicht, was der andere nicht kann.

Strunz:

Herr Scholz, wo liegen die Vorteile von Herrn Ahlhaus?

Scholz:

Ich weiche ein bisschen aus: Dass wir bei allem Streit miteinander bisher ganz höflich umgegangen sind, das finde ich gut.

Strunz:

Herr Ahlhaus, was ärgert Sie an sich selbst besonders?

Ahlhaus:

Manchmal kümmere ich mich zu sehr um die Inhalte und mache mir vielleicht zu wenig Gedanken um Außendarstellung oder Charisma, da ist mir so mancher Fauxpas unterlaufen. Ich erinnere mich da an eine Berichterstattung im Hamburger Abendblatt, immerhin im Kulturteil, über ein gewisses Kleidungsstück von mir mit Querstreifen. Ich habe es extra für Sie mitgebracht. (Christoph Ahlhaus überreicht Claus Strunz das T-Shirt, das er im Sommer getragen hat - siehe Artikel auf dieser Seite)

Strunz:

Herr Scholz, wenn ein Bürgermeister Dinge ankündigt oder entscheidet, aber später, wenn er nicht mehr in einer Regierungskoalition ist, anders denkt: Trauen Sie so jemandem?

Scholz:

Man darf Politik nicht aus Kompromissen unter Parteien begründen. Sie müssen so sein, dass man sie fortführt, auch wenn der Partner verloren ist. Ansonsten muss man sich fragen, ob es Überzeugung ist, die einen begleitet.

Strunz:

Herr Ahlhaus, Sie haben begrüßt, dass Olaf Scholz ausschließt, mit der Linkspartei zu koalieren. Aber es scheint, Sie würden ihm zutrauen, dass er es doch tut, wenn es nicht anders geht. Ist er ein Trickser oder gar Lügner?

Ahlhaus:

Wenn Herr Scholz das klar sagt, dann steht er auch dazu. Aber er ist nicht allein auf der Welt, sondern hinter ihm steht die SPD. Wir erinnern uns an Hessen und wissen, Stichwort Ypsilanti, dass es manchmal anders kommt. Also, wenn es nicht anders geht, wollen es andere Sozialdemokraten vielleicht anders machen.

Strunz:

Herr Scholz, Sie sind also in einer Partei, die Sie im Zweifel rasiert, um mit Links koalieren zu können?

Scholz:

Herr Ahlhaus hat das Richtige gesagt: Die SPD steht hinter mir. (schmunzelt)

Strunz:

Ab jetzt bitte nur mit Ja oder Nein antworten: Herr Ahlhaus, wenn ich Sie wähle, bekommen wir dann künftig mehr Helfer für die Sicherheit auf S- und U-Bahnhöfen?

Ahlhaus:

Ja.

Scholz:

Ja.

Strunz:

Das halten wir fest. Zwei von drei Atommeilern rund um Hamburg sind derzeit abgeschaltet. Sollten sie je wieder laufen dürfen, Herr Scholz?

Scholz:

Nein.

Strunz:

Herr Ahlhaus, Hamburg ohne Atomstrom, setzen Sie sich dafür ein?

Ahlhaus:

Nein.

Strunz:

Machen wir jetzt einen "Wären wir nicht eine schöne große Koalition?"-Test. Werden Sie bei der Kultur sparen?

Ahlhaus:

Nein.

Scholz:

Nein.

Strunz:

Bei der Polizei?

Scholz:

Nein.

Ahlhaus:

Nein.

Strunz:

In den Schulen?

Ahlhaus:

Nein.

Scholz:

Nein.

Strunz:

Beim Weihnachtsgeld für Beamte? (Keine eindeutige Reaktion)

Ahlhaus:

Es gibt Fragen, die sind nicht mit Ja oder Nein zu beantworten.

Strunz:

Gut, eine Ausnahme.

Ahlhaus:

Wenn die Einnahmequellen wieder sprudeln, so sieht es derzeit aus, dann werden wir die im September beschlossenen Kürzungen und Streichungen des Weihnachtsgeldes nicht realisieren. Ich finde, es ist nicht unseriös, wenn man sagt: Wenn es Hamburg besser geht, muss man nicht da heran, wo es den Menschen besonders wehtut.

Strunz:

Herr Scholz?

Scholz:

Ich glaube, dass man den Ärger der Beamten verstehen kann, weil die das Gefühl haben, dass sie die verfehlte Haushaltspolitik der letzten Jahre und auch manche aus dem Ruder gelaufene Kostenentwicklung bei Großprojekten zu bezahlen haben, nicht nur der Elbphilharmonie.

Strunz:

Werden Sie künftig beim Streusalz sparen?

Scholz:

Nein.

Ahlhaus:

Nein.

Strunz:

Meine These, dass die Große Koalition möglich ist, ist nicht wirklich erschüttert. Neues Thema: Wir leben in einer Zeit des Protests der Bürger. Stichwort Volksentscheid zur Primarschule. Welche Lehre ziehen Sie daraus?

Ahlhaus:

Politik muss sich am Bürgerwillen orientieren. Auch wenn manche Idee gut gemeint ist, muss für die Politiker immer klar sein: Was will der Bürger, was will die Mehrheit? Das ist ein Urprinzip der Demokratie. Die Mehrheit will eines ganz bestimmt nicht, nämlich Bevormundung durch Ideologen und Besserwisser. Meistens wissen es die Bürger am besten.

Scholz:

Ich bin ein Anhänger von Volksentscheiden. Ich glaube, dass sie Politik besser machen und dass sie auch dazu beitragen können, dass viele, die politisch handeln, bei ihren Entscheidungen bedenken, dass die Sache nochmals von einem Volksentscheid getestet werden kann. Dann würden manche Dinge nicht passieren, die geschehen sind.

Strunz:

Folgt daraus, Herr Ahlhaus, nicht zwangsläufig, dass Sie nichts mehr entscheiden?

Ahlhaus:

Dieser Schluss wäre grob falsch.

Strunz:

Aber er liegt nahe.

Ahlhaus:

Nein, Politik muss manche Dinge durchsetzen, wenn sie sie für richtig hält. Aber sie muss das Ohr beim Bürger haben. Das ist kein Widerspruch. Bei Projekten, wie wir das in Hamburg mit der Stadtbahn erlebt haben, muss man einfach sehen: Wenn eine Trassenführung abgelehnt wird, kann man sie nicht weiter verfolgen. Deswegen darf man aber nicht das Verkehrsmittel über Bord schmeißen. Man muss mit den Bürgern gemeinsam überlegen: Wo kann es sinnvoll realisiert werden?

Scholz:

Ich plädiere auch nicht dafür, dass es sich die Politik jetzt bequem machen und alle Entscheidungen deligieren soll. Das wäre ein ganz großer Fehler. Wir werden dafür gewählt, dass wir die Sachen gut bedenken, dass wir sie auch mit anderen besprechen und da, wo wir die Überzeugung haben, auch für Mehrheiten sorgen. Diese Dinge muss ein guter Politiker heute hinkriegen: klug sein, informiert sein und wissen, was die Bürgerinnen und Bürger denken.

Strunz:

Fährt die Stadtbahn in Hamburg im Jahre 2025?

Ahlhaus:

Wenn wir es uns leisten können und eine gute Trasse gefunden haben, dann ja.

Strunz:

Herr Scholz, wenn diese Dinge erfüllt sind, steigen Sie wahrscheinlich mit ein. Aber was ist eine gute Trasse?

Scholz:

Ich habe keine gute Trasse im Kopf. Ich habe auch große Zweifel, dass das Projekt überhaupt funktionieren würde. Übrigens ist es hier so, dass die meisten Bürger das Gefühl haben: Das ist sehr teuer. Denn man muss nicht nur den ersten Kilometer Stadtbahn bezahlen können, sondern auch noch den letzten. Vorgesehen sind schließlich insgesamt 50.

Strunz:

Aber geht die Entwicklung anderer Großstädte in Europa nicht in die Richtung von Stadtbahnen?

Scholz:

Auf alle Fälle brauchen wir einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, und wir müssen auch die Schienenanbindung verbessern. Mein Plan ist, dass wir einen Finanzrahmen festlegen für das, was wir an Investitionen für den öffentlichen Nahverkehr übrig haben, und dass wir Prioritätenentscheidungen treffen. Am Ende kann dabei herauskommen, dass wir die große Stadtbahn nicht finanzieren können.

Strunz:

Das heißt, Sie denken noch ein bisschen nach.

Scholz:

Das heißt: Ich sehe im Augenblick keine Perspektive.

Strunz:

Lassen Sie uns den Applaus für Ole von Beust in der Vorrede aufnehmen. Er belegt, dass er uns Hamburgern etwas hinterlassen hat, das der Stadt eine neue Attitüde gegeben hat, im positiven Sinn. Herr Scholz, sind Sie auch ein bisschen Ole von Scholz?

Scholz:

Ich bin nicht adelig.

Strunz:

Gibt es Fähigkeiten, von denen Sie sagen: Da bin ich ihm ganz ähnlich?

Scholz:

Ich finde solche Vergleiche schwierig. Ich glaube, dass Ole von Beust für diese Stadt große Dinge geleistet hat. Ich hoffe auch, dass das gewürdigt wird, bei aller politischen Differenz, die es auch gegeben hat. Im Übrigen glaube ich, dass man als Bürgermeister nicht Parteipolitiker sein darf. Da sind wir uns sicher am ähnlichsten.

Strunz:

Herr Ahlhaus, welchen Teil des Erbes von Ole von Beust wollen Sie fortsetzen?

Ahlhaus:

Ole von Beust ist der Vater der Wachsenden Stadt. Er hat die schlafende Schöne, wie es Helmut Schmidt einmal formuliert hat, aus dem Dornröschenschlaf erweckt, nach vier Jahrzehnten sozialdemokratischer Politik. Dieses Erbe gilt es weiterzuentwickeln. Ole von Beust ist einer der erfolgreichsten Nachkriegsbürgermeister.

Strunz:

Herr Scholz, was kommt auf Hamburg zu, wenn Christoph Ahlhaus regiert?

Scholz:

Es ist schon gekommen, und es war nicht gut.

Strunz:

Herr Ahlhaus, was kommt auf Hamburg zu, wenn Olaf Scholz Bürgermeister ist?

Ahlhaus:

Olaf Scholz war genauso lange Innensenator, wie ich jetzt Bürgermeister bin, und er war Parteivorsitzender. Nach diesen drei Monaten ist die SPD krachend abgewählt worden wegen des Versagens in der Innenpolitik. Auch daraus kann man natürlich einige Schlüsse ziehen.

Strunz:

Welche ziehen Sie daraus?

Scholz:

Ich habe einen Kurswechsel in der Inneren Sicherheit eingeleitet. Das Gute aus meiner Perspektive ist, dass es der SPD in den zehn Jahren gelungen ist, bei diesem Kurswechsel zu bleiben. Klare Kante in der Inneren Sicherheit, das ist etwas, wofür ich damals gestanden habe. Dafür stehe ich auch in Zukunft.

Strunz:

Olaf Scholz, glauben Sie, dass die FDP in die Bürgerschaft einzieht?

Scholz:

Nein.

Strunz:

Warum nicht?

Scholz:

Weil keiner sie wählen möchte.

Strunz:

Warum nicht?

Scholz:

Weil es keine guten Gründe gibt.

Strunz:

Warum nicht?

Scholz:

Weil das eine Partei ist, bei der man erst einmal herausfinden möchte: Was will sie überhaupt?

Strunz:

Warum?

Scholz:

Diese Frage ist für politisch interessierte Bürger geblieben. Die anderen interessieren sich gar nicht mehr.

Strunz:

Was bedeutet es für Hamburg, dass die FDP gerade in dieser Stadt, der Kaufmannsstadt mit großer liberaler Tradition, schwächelt?

Scholz:

Das finde ich nicht gut, glaube aber, dass das insofern kein Problem ist, weil die SPD als Alleinerbin der sozialliberalen Ära bereitsteht.

FDP-Entwicklungsminister Dirk Niebel

(ruft aus dem Publikum): Der Mann hat Humor.