Neustadt. Es ist so manches Blendwerk dabei. Übertreibungen und Tarnungen im Internet, der virtuellen Welt mit schier unbegrenzten Möglichkeiten. Hier ist das Knüpfen von Kontakten oft ein Kinderspiel, schnell und mühelos, und per Mausklick ist man je nach Wunsch jünger oder älter, attraktiver, schlanker, erfolgreicher. Es ist ja nicht echt, nicht real, noch nicht. Und solange es bei Mails in Kontaktbörsen bleibt, fliegt die Täuschung nicht auf.

Mario (Name geändert) hat es ausprobiert. Ein aufgeweckter Junge ist er, neugierig auf Sex und aufs andere Geschlecht, und deshalb hat er ein bisschen geschummelt bei seinem Alter, hat in seinem Internetprofil drei Jahre hinzuaddiert und war damit virtuelle 14 und nicht erst elf. Es dauerte nicht lange, und er hatte eine vielversprechende Verabredung, bei der es zur Sache gehen sollte. Ein Date mit "Denise", laut Kontaktbörse 15 Jahre alt, Geschlecht weiblich, viele Hobbys, aber "sorry, kein Foto". Ein Bild hätte auch mit Sicherheit alle weiteren Annäherungen im Keim erstickt. Denn "Denise" ist tatsächlich 25 Jahre alt. Und ein Mann.

Jetzt sitzt dieser Mann auf der Anklagebank vor dem Landgericht, deutlich übergewichtig und ebenso minderbegabt mit einem Intelligenzquotienten von gerade mal 56. Dennis W. ist wirklich weit entfernt davon, ein Traummann zu sein, keiner, der so ohne weiteres Sexualpartner findet. Sexueller Missbrauch von Jugendlichen und Körperverletzung wird ihm vorgeworfen. Laut Anklage hat der Hamburger Mario unter dem Vorwand, er sei "Denise", in seine Wohnung gelockt, ihn mit Handschellen gefesselt und ihm die Augen verbunden. Dann habe Dennis W. an dem Jungen Oralverkehr ausgeübt, so die Staatsanwaltschaft, und schließlich den Kopf des Elfjährigen in die Badewanne getaucht.

Es sei alles bereits im Internet zwischen ihm und dem Jungen abgemacht gewesen, versucht sich der Angeklagte zu rechtfertigen. Die Augenbinde, die Handschellen, die sexuellen Handlungen. Und er habe keinen Zweifel gehabt, dass Mario bereits 14 Jahre alt sei. Er selbst habe zuvor auch keinerlei sexuelle Erfahrungen gehabt. "Ich wollte das mit dem Jungen ausprobieren. Es war so geplant, als ich mich im Internet als 15-jähriges Mädchen ausgegeben habe", bekennt Dennis W. Als der Junge an seiner Wohnungstür klingelte, habe er vorgegeben, er sei der Bruder von "Denise", das Mädchen komme gleich. Das Verbinden der Augen, das Fesseln der Hände auf dem Rücken des Jungen - es war ein ausgeklügelter Plan, damit Mario nicht herausfinden sollte, dass er es mit einem Mann zu tun hat. Er habe die ganze Zeit über keinen Ton gesagt, betont der Angeklagte, "sonst hätte er ja gemerkt, dass ich ein Mann bin". Auch das Opfer bestätigt in seiner Vernehmung bei der Polizei, deren Videoaufzeichnung im Prozess abgespielt wird, dass das Vorgehen inklusive Verbinden der Augen und der Fesselung vorher im Chat verabredet worden seien. Bei den sexuellen Handlungen habe er sich dann aber doch wehren wollen. "Das konnte ich aber nicht wegen der Handschellen."

Dennis W. muss den Widerwillen seines Opfers genau gespürt haben. Denn anschließend, fährt der Angeklagte fort, habe er Mario ins Badezimmer geführt und ihn einige Sekunden "ins Wasser getunkt. Ich wollte ihn nur erschrecken, dass er nicht zur Polizei geht und dass er den Mund hält." Außerdem habe er ihm das Handy abgenommen. "Ich habe das in die Schublade gemacht. Vorher hatte ich ihm das aus der Hosentasche rausgemacht", formuliert Dennis W. Er habe das Mobiltelefon nicht behalten wollen, sondern es ihm nur abgenommen, "damit er nicht zur Polizei geht". Das sei doch erst recht ein Grund für den Jungen, sich an die Polizei zu wenden, gibt der Vorsitzende Richter zu bedenken. "Sie meinen eine Anzeige wegen Diebstahl oder wie? Daran habe ich nicht gedacht", antwortet der Angeklagte sichtlich irritiert und blickt mit halb geöffnetem Mund hilfesuchend um sich. Sein Verteidiger hilft: "War es Ihr allgemeines Empfinden, etwas nicht Richtiges getan zu haben?" Der 25-Jährige nickt und senkt beschämt den Kopf.

Zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt das Landgericht schließlich Dennis W. und folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. 600 Euro muss Dennis W. an Schmerzensgeld zahlen und unter anderem eine Sexualtherapie machen. "Wir müssen einen Riegel vorschieben, damit so etwas nie wieder passiert." Zwar habe der Angeklagte mit seinem Geständnis dem Opfer erspart, vor Gericht auszusagen. Es habe ihm aber nicht den psychischen Schaden erspart, den der Junge vielleicht davontragen werde.