Man muss den vier Herren, die jetzt die deutschsprachige Kulturszene aufgeschreckt haben, wirklich dankbar sein. Endlich haben sie die K-Frage gestellt. Sie sprechen vom "Kulturinfarkt" und behaupten, die Gesellschaft sei mit teurer und "elitärer" Kultur überfüttert. Wenigstens die Hälfte des öffentlichen Kulturetats, das sind immerhin rund zehn Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland, könnten ihrer Meinung nach weit effizienter eingesetzt werden.
Das Ressentiment gegen das "Hochkulturangebot" ist deutlich. Es mag haarscharf danebenliegen, gnadenlos populistisch und gewiss auch nicht ganz uneigennützig sein. Aber es ist auch ein Weckruf. Geben wir es doch zu: Wir haben uns an das Angebot der Museen und Orchester gewöhnt wie an das Wetter. Wir sind bequem geworden und haben vergessen, was Kultur eigentlich ist und was sie soll, wozu sie gut und wozu sie da ist.
Um es gleich zu sagen: Die vier Herren, allesamt Kulturfunktionäre in leitender Position, wissen es selbst nicht, und schon deshalb ist ihre Streitschrift ("Der Kulturinfarkt", Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz; Knaus Verlag) Offenbarung und zugleich ein Schmarrn. Diesen Kritikern ist bisher nichts Besseres eingefallen, als zu beschleunigen, was ohnehin geschieht: die Kommerzialisierung und radikale Nachfrageorientierung öffentlicher Aufgaben.
Statt einen zeitgemäßen Kulturbegriff zu entwickeln, fordern sie einen "Wirklichkeitstest", der sachgemäßes und weitsichtiges Handeln überflüssig macht. Das Prinzip heißt Umverteilung: Kultureinrichtungen, die ihre Investitionen nicht einspielen, welche die öffentliche Hand zuvor bereitgestellt haben, sollen in Zukunft sehen, wie sie über die Runden kommen.
Bibliotheken, öffentliche Sammlungen oder historische Gebäude stehen damit automatisch zum Abschuss frei. Kultur soll sich rechnen, soll Dienstleisterin sein: gut für Freizeit und Erholung, gut für die Standortsicherung und den Tourismus.
Derlei Vorgaben sind ein Hohn auf das, was Kultur ihrem Anspruch nach ist. Seit der Aufklärung, die diesen Begriff populär gemacht hat, ist Kultur die von Menschen für Menschen gemachte Welt. Am Ende der Epoche und unter dem Eindruck der Schreckensherrschaft, die in den Augen der Zeitgenossen die zivilisatorischen Ideale der Französischen Revolution korrumpierte, wurde diese Idee des menschlichen Kulturprojekts zu treuen Händen der Kunst übergeben.
Die Kunst sollte festhalten und bewahren, was politisch bis auf Weiteres nicht durchsetzbar war. Bewegungen wie das Bauhaus oder der Avantgardismus haben diese Erwartung in die Moderne getragen. Nie wollten sie bloß Kunst machen oder sein, sondern mehr als das, nämlich: Kultur.
Die Kultur funktioniert nach dem Prinzip der Flaschenpost, und es ist diese verborgene Botschaft, dieser Bedeutungsüberschuss, der bei ihrer Unterwerfung unter das Diktat des Marktes auf der Strecke bleibt. Die Globalisierung zeigt eindrucksvoll die Stärke des Kapitalismus, sich in jedem kulturellen Umfeld auch erfolgreich durchsetzen zu können. Diese Wirtschaftsform scheint also kulturneutral zu sein, man könnte auch sagen: Die Kultur, sofern sie nicht zufällig das Geschäft belebt, ist dem Kapitalismus eigentlich schnurz.
Umso aberwitziger ist die Empfehlung, die "Elfenbeintürme" einzureißen und stattdessen, wie die vier Autoren meinen, dem "dynamischen Regelsystem" des Marktes zu vertrauen. Sachferner könnte der Ratschlag kaum sein. In Wirklichkeit rühren wir mit der K-Frage an Themen, die zwar den Markt kaltlassen, nicht aber die Menschen: wie wir leben wollen; was uns wichtig ist; was am Ende zählt; was möglich ist und was nötig.
Bedenkt man, was auf dem Spiel steht, was Kultur ist und sein soll, dann müsste es also genau umgekehrt sein. Statt die Kultur marktförmig auszurichten, sollten wir die Wirtschaft an ihre kulturellen, gleichfalls in der Epoche der Aufklärung erkannten Pflichten erinnern: daran, den "Wohlstand der Nationen" zu mehren.
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