Der "Nachruf" eines gewissen "Mescalero"

Minister in der Defensive

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HA Hamburg - An dieses kurze Gespräch im Zug wird sich Jürgen Trittin noch lange erinnern. Der Bundesumweltminister ist im ICE unterwegs nach Berlin, als ihn ein Unbekannter auf einen Brief anspricht, der 20 Jahre zuvor in Göttingen veröffentlicht wurde. Ob er immer noch hinter dem Schreiben stehe, dass 1977 die "klammheimliche Freude" über den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback zum Ausdruck bringt. Der Frager ist Michael Buback, Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts. Und Trittin kommt in Erklärungsnot.

Über den Fortgang des Gesprächs gibt es unterschiedliche Darstellungen. Die eine stammt von Michael Buback, zum Besten gegeben in Sabine Christiansens Talkshow. Danach ist Trittin keinen Millimeter von dem Brief abgerückt. Die andere stammt von Trittin, der beteuert, sich den Brief eines Göttinger Studenten nie zu Eigen gemacht zu haben.

Der Brief erschien in der AStA-Zeitung "Göttinger Nachrichten" als "Nachruf". Der Schreiber nannte sich einen Stadtindianer mit dem Namen "Mescalero". "Ehrlich, ich bedaure es ein wenig, dass wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rot-schwarze Verbrecheralbum aufnehmen können, das wir nach der Revolution herausgeben werden", hieß es in den Schreiben.

Jürgen Trittin war damals in der Studentenschaft aktiv. "Er war nie Mitglied des AStA und auch nie Redakteur der ,Göttinger Nachrichten' oder gar Mitherausgeber", erinnert sich Jürgen Ahrens, Rechtsanwalt in Göttingen, damals Vorsitzender der sozialistischen Bündnisliste im AStA. Als Student der Sozialwissenschaften sei Trittin im "kommunistisch angehauchten" Fachschaftsrat aktiv gewesen.

Erst Anfang der 80e- Jahre habe Trittin in Göttingen an Hausbesetzungen teilgenommen, sagt Ahrens. Er habe ihn auch mal bei einer Besetzung der damaligen Göttinger Augenklinik gesehen, die abgerissen werden sollte. "Gegen Trittin liefen in Göttingen keine Ermittlungen, er war niemals angeklagt", sagt der Jurist. Auch im Zusammenhang mit dem "Buback-Brief" habe die Staatsanwaltschaft Trittin nicht im Visier gehabt. Er ist nach Ahrens' Auffassung ein "kleines Licht" gewesen. Politische Beobachter sind sich einig, dass die Freisprüche in den Prozessen infolge des Buback-Briefs Friedensbewegung, Anti-Atomkraft-Demonstranten und Hausbesetzer so stärkten, dass daraus die Grünen entstehen konnten.

Jean-Paul Picaper, Korrespondent des "Figaro" in Berlin, ist der Auffassung, dass die Ideen der Außerparlamentarischen Opposition (ApO) der 68er lange bei den Grünen unter anderen Vorzeichen weitergelebt hat. Er empfiehlt auch eine Auseinandersetzung mit den Ideen von damals, denn die ApO habe in den 60er- und 70er-Jahren ein falsches Menschen- und Gesellschaftsbild vermittelt, das nur mit den Mitteln einer ideologischen Diktatur zu verwirklichen gewesen wäre. Dies müsse heute Gegenstand der Diskussion sein und nicht wie, wann und von wem Steine geworfen wurden. Es versetze die Franzosen in Staunen, so Picaper, dass Deutschland seine alten radikalen Linken wie den Außenminister nach 25 Jahren unter Anklage stellt, während in Frankreich schon lange gesagt werde: "Schwamm drüber." "Das Gemeinsame an der Neuen Linken in Frankreich und Deutschland bestand darin, dass beide eine neue Lebensform ausprobieren wollten. Aber die Franzosen waren viel weniger ideologisch orientiert als die Deutschen", so der Korrespondent.

Es sei eben, wie schon Heinrich Heine über den Unterschied zwischen einer Revolution in Deutschland und Frankreich geschrieben habe. In Frankreich entlade sie sich wie ein Blitz, während in Deutschland der Donner nicht verhallen mag.

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