Von PER HINRICHS
Eckardt Höpfner ist mit seinem Sohn Karsten auf dem Weg zum Bootsanleger, als er die zweimotorige Cessna heranbrummen hört. Der Fischer aus dem vorpommerschen Garz (Usedom) denkt sich nichts dabei; die Flugzeuge fliegen gewöhnlich immer so tief über den Wald in der Einflugschneise des nahe gelegenen Flugplatzes Heringsdorf. Die beiden blicken nicht einmal nach oben - im dichten Nebel mit Sichtweiten von 30 Metern sehen sie auch nicht viel. "Plötzlich knackte es sehr laut, als ob die Maschine Baumwipfel gestreift hätte", sagt Eckardt Höpfner. Dann hören die beiden einen dumpfen Knall: "Wir dachten gleich, dass die abgestürzt ist."
Vater und Sohn fackeln nicht lange. Sie laufen zum Auto und fahren zur Unglücksstelle. Bald schon sehen sie Rauch aus dem Wald aufsteigen: Die Cessna 421 hat beim Aufschlag Feuer gefangen; die linke Tragfläche brennt lichterloh. Im Cockpit sitzt der Pilot Dieter Lamz (58) - bewusstlos. Er war allein an Bord des zehnsitzigen Geschäftsreiseflugzeugs auf dem Weg von Hamburg nach Heringsdorf.
Die Höpfners hätten jetzt die Feuerwehr rufen und sich in Sicherheit bringen können. Schließlich brennen dort Hunderte Liter hochexplosiven Flugbenzins. Doch Eckardt Höpfner zögert nicht eine Sekunde: Er entriegelt die Einstiegsluke am Heck, klettert durch die Kabine nach vorne zum Piloten und befreit Lamz, der mit dem Fuß eingeklemmt ist. Als er den schwer verletzten Mann aus der verqualmten Kabine ins Freie trägt, kommt der wieder zu Bewusstsein. "Ich bin doch so oft hierher geflogen, was ist nur passiert", stammelt der schockierte Pilot, bevor er wieder ohnmächtig wird. Lamz liegt jetzt mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus Wolgast. Als die Feuerwehr anrückt, sind von dem eleganten Flugzeug nur noch rauchende Trümmer übrig. Die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung haben das Wrack sichergestellt und untersuchen es auf mögliche technische Mängel.
Bereits gestern verwies ein Mitarbeiter der Untersuchungsstelle jedoch auf das schlechte Wetter. Die Bedingungen ließen nur einen Anflug im Blindflug zu. Da der Flugplatz Heringsdorf nicht mit einem Präzisions-Lande-System (ILS) ausgerüstet ist wie Verkehrsflughäfen, müssen Piloten ein genaues Anflugverfahren absolvieren: Der Pilot passiert bestimmte Punkte im Landeanflug, meist Funkfeuer, in festgelegten Mindesthöhen. Wenn er im Endanflug die Landebahn in einer in den Anflugkarten verzeichneten Höhe nicht sieht, muss er durchstarten. In Heringsdorf ist diese "Entscheidungshöhe" für die Landebahn 28 mit umgerechnet 130 Metern angegeben. Auch dieses Manöver ist im Einzelnen auf den Flugkarten beschrieben.
Doch Lamz entscheidet sich, trotz der kritischen Bedingungen, zu landen. Etwa 750 Meter vor der Piste rast die 20 Jahre alte Cessna in den Wald. Dabei gilt Lamz, Geschäftsführer der Hamburger Alster Flug Center GmbH (afc), die als Halterin des Flugzeugs eingetragen ist, als erfahrener und gewissenhafter Pilot. "Der war ein Perfektionist, ein absoluter Profi", sagt ein Kopilot, der ein paarmal mit Lamz flog. "Einen strengeren Lehrer habe ich noch nie gehabt", so der Pilot. Auch in Heringsdorf ist Lamz wohlbekannt; mehr als 100-mal landete er schon auf dem ehemaligen Militärflugplatz, den die russischen Truppen Anfang der 90er-Jahre ver- und hinterließen.
Eckardt Höpfner kann sich noch gut an die alten Zeiten erinnern. "Früher sind hier die russischen MiGs geflogen. Da hat öfter mal einer neben der Landebahn gelegen", sagt der Fischer. Zu DDR-Zeiten rückte dann die Feuerwehr an und sperrte das Gelände weiträumig ab. Dass ausgerechnet er nun als Held gefeiert wird, kann der 61-Jährige nicht verstehen. "Sollten wir ihn denn verbrennen lassen?", fragt Höpfner und gibt sich gleich die Antwort: "Nee, das ist nicht meine Art." Vielleicht hat er sich am vergangenen Wochenende mit der Lebensrettung selbst das schönste Geschenk gemacht: Heute feiert Eckardt Höpfner, Fischer aus Garz, seinen 62. Geburtstag.
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