Mit 100 Mark in der Tasche wollte Abendblatt-Redakteur Joachim Mischke an der Hamburger Börse zum Kleinanleger werden. Das ist gar nicht so leicht . . .

Von einem, der auszog, eine Aktie zu kaufen

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Als alle damals bedenkenlos auf Manfred Krug hörten, hab ich nur lustlos abgewinkt. Lass mal gut sein, Manne, das Kleingedruckte im Wirtschaftsteil ist mir zu anstrengend. Als die Ersten es bald bereuten, hab ich nur wissend gelächelt. Pech, Leute, das kommt davon, wenn man gierig wird.

Doch heute ist mein großer Tag: Heute will ich meine erste Aktie kaufen. Die ganze Werbung, wie einfach und toll und spannend das sei und dass man unbedingt auch welche haben sollte, um später fein ausgesorgt zu haben, hat gewirkt. Ich will meine Aktie. Jetzt und sofort. Wertvoll soll meine Aktie Nr. 1 sein, bloß keine schlappe Emissionslusche, die ich dann nicht mal mehr umgetauscht bekomme, falls sie mir nach einigen Tagen zu sehr an Wert verliert. Und nett nach was aussehen, falls ich sie als Grundstein meines kommenden Vermögens rahmen und den staunenden Enkelkindern zeigen möchte, soll sie auch. Aber nichts übereilen, nicht übermütig werden. Eine zum Probieren muss vorerst reichen. Für 100 Mark wirds in der Hamburger Börse doch bestimmt was Nettes geben. Dachte ich mir so. Bei der Gelegenheit könnte man mir womöglich auch mal erläutern, was Hausse und Baisse sind.

Auf dem Weg zur Börse springt mich die Schlagzeile einer Tageszeitung an: "Kursfeuerwerk!" Die Händler jubilieren, der DAX ist in Ekstase! Klasse! Warum? Was weiß denn ich, aber der Zeitpunkt schreit förmlich nach risikofreudigem Engagement. Jetzt ist der ganze Kleinanleger gefordert. Vielleicht nehme ich doch zwei Aktien, man lebt ja nur einmal.

Mit entschlossenen Schritten betrete ich die Börse, flott vorbei am Pförtner, als käme ich täglich vorbei, rein ins Getümmel. Wenns denn eines gäbe. Im eigentlichen Börsensaal, der auch noch verglast und mit einer verschlossenen Tür vor neugierigen Anleger-Anfängern wie mir gesichert ist, wird geruhsam Kaffee getrunken und geplaudert. Das einzige Geräusch, das die lauschige Idylle stört, ist das leise Klackern einer Kursanzeigetafel über meinem Kopf. Viele Zahlen, kein Sinn. Jedenfalls für einen wie mich. Eine kleine Präsenzbibliothek im Vorraum, wie nett. Etwas Fachliteratur, falls man mal nicht weiß, welche Aktien zuerst kaufen? Schon wieder verkehrt. Stattdessen Außenhandelsverzeichnisse, das von Albanien hat 48 Seiten, das von Dubai schmückt ein buntes Bild. Aha. Aber wo ist meine Aktie, wo der zukünftige Broker meines Vertrauens?

Die Nachfrage am Info-Tresen der Handelskammer bringt mir den ersten verstörten Blick, aber immerhin auch eine Telefonnummer der Börsenverwaltung ein, die einige Straßen weiter residiert: Guten Tag, ich stehe hier in Ihrer Börse und würde jetzt gern eine Aktie kaufen. So einfach gehe das aber nicht, wird mir erklärt. Dafür sei ausschließlich meine Hausbank zuständig. Ach was. Wo finde ich hier einen vertrauenswürdigen Makler, der . . . Das geht auch nicht. Makler sind für Publikum nicht ansprechbar, außerdem ist das ein Konzentrationsjob. Beeindruckt bin ich, aber auch unbefriedigt. Ich möchte doch nur eine Aktie, eine dekorative, wenns geht. Ach sooo . . . Dann sollte ich mich an die "Freunde historischer Wertpapiere" wenden, wenn es um Wandschmuck geht. Das Gespräch wird langsam interessant. Keineswegs, ich möchte eine hübsche und gültige Aktie, sonst macht das alles keinen Spaß. Aber eben nur eine, 100 Mark hätte ich gerade passend dabei. Keine Chance - und moderne Aktien sind auch gar nicht richtig dekorativ. Wie ernüchternd.

Okay, schlage ich ihr gütlich vor, wie wäre es dann mit einer Erklärung der Börsen-Anzeigetafel? Der erste Eintrag "BAS", darüber steht "Vortag", dann "L- 1", "Hoch" und "Tief". Hoch und Tief seien Höchst- und Tiefststand, bekomme ich erklärt. Komisch eigentlich, am Vortag waren es angeblich 39,73 (Mark? Euro? Dollar? Und was ist BAS überhaupt? Kann man das kaufen? Soll man das kaufen?). Aber bei Hoch steht gerade mal 0,85, was mir doch deutlich niedriger als der Vortagesstand vorkommt. Tut mir Leid, am Telefon könne sie das jetzt auch nicht erklären, laviert sich die freundliche Dame aus der Zahlenaffäre. Hätte ich nun auch nicht gedacht, dass das hier so kompliziert wäre, mault meine innere Stimme.

Einen Raum weiter sind viele Sitzbänkchen mit Namensschildern an Säulen angebracht, Broker-Zwischenlager, offenbar aus Gründerjahren, als man mit anlagewilligen Kunden wie mir noch leibhaftig sprechen wollte. Neben einem hängt ein Zettel, wo der Herr Makler telefonisch oder per Fax zu erreichen sei, wenns denn sein muss. Muss ja nicht, direkt um die Ecke ist gleich eine Bank. Da gibts doch bestimmt Aktien.

Am Schalter "Privatkunden" nimmt sich ein freundlicher junger Herr mit adrett sortiertem Haupthaar meines Anleger-Anliegens an. Guten Tag, ich hätte gern eine Aktie - die Kollegen drüben in der Börse haben gerade keine vorrätig, die sie mir verkaufen wollen. Verstörter Blick Nr. 2. Aktien bekommt man nur, wenn man ein Depot dafür einrichtet, so ab fünf- oder zehntausend Mark aufwärts sei das hier durchaus möglich. Danke vielmals, aber ich wollte doch nur eine Aktie. Das geht nicht. Die müssen sich alle abgesprochen haben, vermute ich und versuche es mit dem Hinweis darauf, dass ich außerdem nicht von hier sei, und ich bräuchte sie als Geschenk, es ist ja nicht für mich . . . Als Geschenk, für ein Kind? Dann nehmen Sie eine Disney-Aktie, die ist auch nicht so teuer. Bingo! Ausgetrickst, Sportsfreund! Die gibts also auch einzeln? Nein, das geht nicht. Und überhaupt: Wenn man eine einzelne Aktie ausdrucken will, dann geht das ganz fürchterlich ins Geld.

Verstörter Blick Nr. 3, diesmal von einer Kollegin meines Gegenübers, die zufällig Zeugin unseres kleinen Plausches wird. Und hier endet dann mein erster Börsengang: an den zu entgleisen drohenden Gesichtszügen des freundlichen jungen Bankkaufmanns mit Disney-Faible. Aber falls mir mein Anlageberater bei der Sparkasse demnächst tatsächlich Aktien empfiehlt, die Dinger kauf ich ihm nur ab, wenn mir die Motive gefallen.

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