Überrollt der Verkehr Hamburg?

Dreißig Jahre Straßenbau: Kein Grund zum Jubeln

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Von EGBERT A. HOFFMANN Zweite Folge

Wen" Heinz Sievers, 49 ? Foto oben ? , mit seinem Passat durch den Wallringtunnel braust, ist er schlecht auf "die da oben"

zu sprechen. Denn spätestens an der Lombardsbrücke muß er auf die Bremse steigen. Die Schlange stockt, zittert sich nur noch in Ampelphasen langsam voran. In der Esplanade geht dann fast nichts mehr. "Hier haben die Behörden", denkt Sievers grimmig, "wieder mal eine Chance verschlafen." Er meint Hamburgs erste Stadtautobahn, die auf dem Wallring gebaut werden sollte.

Tatsächlich war vor einem Vierteljahrhundert der Ausbau des Wallrings beschlossene Sache ? zwischen Deichtorplatz und Lombardsbrücke als Stra- ßentunnel, zwischen Lombardsbrücke und Millerntor als Hochstraße. Eine ideale Rennbahn. Fertig wurde nur der Tunnel.

Max Brauer, damals Bürgermeister, sprach das Machtwort: "So nicht!" Er wollte keine amerikanischen Scheußlichkeiten. Er verbannte auch die Alweg-Bahn, damals neuentwickeltes Nahverkehrsmittel, in die Sahara: "Da sieht sie wenigstens keiner!"

Baudirektor Gerd Ascher, heute verantwortlich für den Bezirk Nord, brütete 1954 über den Planungen der Stelzenstraße: "Kurz zuvor waren an der Esplanade BAT-Haus und Finnland-Haus fertig geworden. Der Anblick schockte Bürger und Politiker." Nun auch noch die Hochstraße? Das Vorhaben wurde aus optischen Gründen gekillt.

Ascher heute: "Zum erstenmal wurde damals bei den Hamburgern ein Umweltbewußtsein wach." Später habe sich dann herausgestellt, daß die Hochstraße gar nicht nötig war. Wallring, Stephansund Karl-Muck-Platz wären also sinnlos verschandelt worden.

Hamburg bewies mit seinem Straßenbau jener Jahre ? und später ? keinesfalls Immer eine glückliche Hand. Unterschiedliche Konzeptionen häufig

wechselnder Führungskräfte in den Behörden, mangelnde Entschlußfreudigkeit von Senatoren und falsche Einschätzung der wachsenden Motorisierungsflut waren die Ursachen. Max Brauer (SPD) setzte andere Schwerpunkte als Paul Nevermann (SPD). Bausenator Müller-Link (FDP) taktierte anders als Bausenator Bull (CDU).

In der Spitze der Baubehörde wurde stets Parteipolitik gemacht. Und wer dort residierte, schielte immer auf die Parteibasis ? damals wie heute. Die Intensität des Straßenbaus spiegelte stets den grade aktuellen Willen jener Partei wider, die im Rathaus das Sagen hatte.

Dreißig Jahre Straßenbau sind folglich keine schnurgerade Reise, sondern eher ein permanenter Schlingerkurs. Kein Ruhmesblatt war der unübersichtliche Ausbau der Sechslingspforte. Auch der Deichtortunnel ist mit seinen verwirrenden Zufahrten nicht optimal gelungen. Zweite Lombardsbrücke ? später Kennedybrücka ? und Wilhelmsburger Reichsstraße wurden hingegen aus heutiger Sicht richtig konzipiert. Vorbildlich gelang unter dem Zwang des Wandsbeker U-Bahn-Baus der sechsspurige Ausbau der Lübecker Straße und Wandsbeker Chaussee. Dieser Straßenzug funktioniert heute, fünfzehn Jahre später, immer noch perfekt.

Richtung Bergedorf wurde zunächst gestümpert: Eine dreispurige Schnellstraße ist mörderisch für Uberholer. Die vierte Spur mußte später dazugebaut werden. Wieso niemals ein Senat ernsthaft den Neubau einer weiteren Norderelbbrücke oder den Bau eines Baumvall-Elbtunnels, seit Kriegsende geplant, in Angriff nahm, bleibt unverständlich. Westdeutsche Großstädte, die der Rhein zerteilt, haben heute bis zu zehn Straßenbrücken.

In Hamburg quält sich nach wie vor der innerstädtische Verkehr über eine einzige Norderelbbrücke. Erst jetzt meinte Bausenator Lange: "Nach dem Gasrohr-Unfall auf der Brücke ein hei- ßes Thema. Wir müssen uns was überlegen."

Wie falsch oftmals die Prognosen waren, mit denen damals in der Baubehörde gearbeitet wurde, beweist ein Artikel, den Prof. Otto Sill, seinerzeit Erster Baudirektor, heute Pensionär, vor 28 Jahren schrieb: "Der endgültige Motorisierungsgrad ist durchaus noch nicht erreicht. Auf 18,5 Einwohner kommt ein Kraftfahrzeug." Heute kommt auf etwa 2,5 Hamburger ein Auto. Immerhin rollten über die Lombardsbrücke damals schon fast 55 000 Fahrzeuge am Tag. Sill machte sich seinerzeit stark für eine breite Entlastungsstraße durch die Innenstadt ? vom Meßberg zum Millerntor. Eine Zwei-Kilometer-Schneise vorwiegend über Trümmergelände, sechsspurig, 36 Meter breit. Daraus wurde die Ost- West-Straße. 1963 war sie fertig.

Prof. Sill wollte Lombardsbrücke und Wallring entlasten. Das ist ihm sicherlich mit der Ost- West-Straße gelungen. Was damals die Planer noch nicht wußten: Leistungsfähige Straßen ziehen zusätzlichen Verkehr an ? die Autofahrer schwirren an wie die Mücken zum Licht.

Heute ist die Ost-West-Straße mit 45 000 Fahrzeugen täglich überlastet. Manchmal sind es bis zu 70 000. Der kleinste Auffahrunfall führt zum Verkehrsinfarkt ? kilometerweite Stokkungen, gesundheitsschädigende Dunstschwaden, Totalblockade für den Querverkehr.

Und auch dies ist die Folge der Ost- West-Straße: Die Innenstadt wurde zerschnitten. Neue, breite Betonbahnen durch gewachsene Viertel sind wie Operationsnarben, die nie verheilen. Ob man diese PS-gefütterte Schneise auch heute noch so bauen würde? Die Meinung der Experten in der Baubehörde: "Gewiß nicht!"

Andere Entscheidungen waren schlicht falsch. So verzichtete Hamburg im Generalverkehrsplan 1954 freiwillig auf einen Autobahnring. Statt dessen sollten wichtige Ausfallstraßen ausgebaut werden, um den Verkehr besser zur City zu lotsen ? auch den Durchgangsverkehr. Heute entscheiden Planer genau entgegengesetzt: den Massenverkehr vom Zentrum fernhalten, den Durchgangsverkehr um Ballungsgebiete herumleiten.

Ohne den fatalen Beschluß von 1954 hätte Hamburg heute seinen Autobahnring ? wie Köln und viele andere Städte.

Daß damals eine Chance verspielt wurde, blieb den Fachleuten nicht lange verborgen. Erstmals 1958 bezeichnete die Baubehörde Stadtautobahnen als unerläßlich: "Sie sollen Verkehrsströme bündeln." Die Baubehörde 1968: "Höchste Zeit für ein weitmaschiges Stadtautobahnnetz, das die Hauptstraßen überlagert." Und 1978 schrieb Baudirektor Dr. Günther Bentfeld: ?Unser Stra- ßenbau kann niemals mit der wachsenden Autoflut Schritt halten. Die Motorisierung wird weiter zunehmen, am Stadtrand sogar noch stärker als im

Zentrum. Auch im Jahre 2000 haben wir noch keine Sättigung."

Was ist zu tun? Werden jetzt endlich Stadtautobahnen gebaut?

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