Keine Beweise gegen Xaver Meyer: Freispruch

Das "Mondgesicht44 wurde noch nicht tiberführt

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Von Georg Boenlsch

Köln, 6. Dezember

Sieben Minuten vor der Urteilsverkündung meinte Staatsanwaltin Maria Moesch im Flur des Landgerichts Köln: "Die Gerechtigkeit muß siegen. Mir ist egal, ob ich erster Sieger bin oder zweiter . . ." Um 12.12 Uhr am Dienstag stand die Erste Staatsanwältin tatsächlich als zweiter Sieger fest: Der Vorsitzende Richter Ernst Liptow der fünf köpf igen 1. Strafkammer verkündete im Saal 133: "Die Angeklagten werden freigesprochen, die Kosten des Verfahrens übernimmt die Staatskasse." Xaver Meyer aus Berlin (41), lange Zeit als der Millionenräuber "Mondgesicht" verdächtigt, schaut kurz seine mitangeklagte Frau Lieselotte an und dann durchs Doppelfenster, hinter dem die Freiheit liegt.

Hat er mit dem Freispruch gerechnet? Hat er gewußt daß das Gericht auf Grund der Beweisaufnahme eigentlich gar nicht anders entscheiden konnte? Oder hatte er sich schon damit abgefunden, acht weitere Jahre hinter Gittern verbringen zu müssen ? so, wie es von der Staatsanwältin Maria Moesch gefordert worden war?

Das Gericht konnte in keiner Phase der Beweisaufnahme dem angeblichen "Mondgesicht" näherkommen. Der Angeklagte blieb verschlossen, fast mürrisch, aber dennoch hellwach. Manchen Zeugen fuhr er so heftig an, daß Richter Liptow nicht vergaß, darauf hinzuweisen: "Da war was Bedrohliches dran, nach dem Motto: ,Wehe, wenn Sie gegen mich aussagen . . ." All das freilich durfte ihm nicht angelastet werden. Liptow: "Die Beweisaufnahme war schwierig, sehr schwierig, weil nicht der geringste Anhaltspunkt für eine Täterschaft des Angeklagten vorlag. Kein Fingerabdruck, kein Blutspritzer, nichts."

Was blieb, waren Zeugen. Zeugen, die am 9. Juni 1975 einem Mann im Kölner Kaufhaus Hertie begegnet waren, der in raffinierter, eiskalter Manier fast eine Million Mark geraubt hatte. Zeugen, die dann über drei Jahre später vor Gericht die verschiedensten Aussagen machten: Der Täter sei 1,80 Meter groß gewesen (während Xaver Meyer nur 1,65 Meter klein ist), er habe einen dunklen Wintermantel angehabt (während andere ihn als hellen Popelinemanrtel identifizierten), sein Gesicht sei rund (während eine Zeugin dabei blieb, der Räuber habe ein auffälliges, viereckiges Gesicht gehabt).

Trotz aller Ähnlichkeiten ? dem Gericht genügte dies nicht. Richter Liptow: "Ein Bündel an Wahrscheinlichkeiten und Verdachtsgründen darf nicht zu der Gewißheit führen, daß jemand der Täter ist. Schließlich passen die Beschreibungen auf 30 Prozent aller deutschen Männer."

Am Ende jedoch, meinte der Richter weiter, bleibe ein ganz erheblicher Verdacht. Woher stammt jene Summe von mehr als 900 000 Mark, die Lieselotte Meyer ausgerechnet nach dem Hertie-Raub an verschiedenen Tagen auf verschiedene Berliner Konten einzahlte ? unter falschen Namen und falscher Adresse?

Das Gericht erinnerte an Meyers Flucht aus Wuppertaler Haft im Jahre 1967: "Die Ausbrecher waren ständig unterwegs und mußten unter erschwerten Bedingungen vier Menschen ernähren. Das kostet Geld, viel Geld. Wenn nach diesen acht Jahren noch eine Million" vorhanden ist macht sie das stark verdächtig." Dieses Geld war unumstritten vorhanden, auf eben jenen Berliner Konten oder

verbaut in Meyers 450 000-Mark-Bungalow im Stadtteil Buckow. Liptow: "Hier aber fehlt der Beweis, daß dieses Geld aus dem Hertie-Raub stammt."

Der Ermittlungsbehörde und den Zeugen wollte die Strafkammer dennoch keinen Vorwurf machen. "Für die meisten, die den wahren Täter gesehen haben, war es nur eine flüchtige Begegnung. Und alles liegt immerhin schon über drei Jahre zurück." Eine Stunde mir brauchte der Richter, um den Freispruch zu begründen. Doch in die Freiheit kann Xaver Meyer noch nicht. Mehr als zwei Jahre muß er noch wegen einer anderen Straftat absitzen.

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