Tolles Gangsterstück perfekt geplant
Vor einem Jahr widmete das Fernsehen ihm einen Krimi: "Mondgesicht", dem raffiniertesten Kaufhausräuber der Nachkriegszeit. Am 9. November soll die Geschichte vor dem Kölner Landgericht ihre Fortsetzung finden ? diesmal allerdings, wie die
Das Gericht bekommt es jetzt mit einem Sachverhalt zu tun, der alle Zutaten einer Gaunerkomödie hat. Wozu beiläufig auch gehört, daß die Millionenbeute so "mündelsicher" angelegt ist, daß die Polizei bisher keine einzige Mark wiederbeschaffen konnte. Aber auch sonst ist "Mondgesicht", der schon mehrfach mit Polizei und Justiz Katz und Maus spielte, für Überraschungen gut
Der 40seitigen Anklage von Staatsanwältin Maria Mösch hält der Berliner Strafverteidiger Gerd Roos entgegen: "Mein Mandant bestreitet die Tat und wird durch Beweisanträge seine Unschuld zu beweisen suchen." Konkret: Meyer will plötzlich einen Alibizeugen für die Tatzeit präsentieren.
Es war am 9. Juni 1975 um 11.15 Uhr. Ein Mann, den später alle wegen seines runden, vollen Gesichts nur "Mondgesicht" nannten, kam ins Büro des Hertie-Geschäftsführers in Köln. "Kriminalkommissar Groß", stellte er sich zunächst vor. Es gehe um eine Kassenprüfung auf Falschgeld. Dann zeigte der Mann Direktor Hanns Becker eine Pistole und schob ihm einen Metallzylinder in die Anzugtasche: "Das ist eine Bombe." Chefkassierer Hubert Henseler packte die Einnahme eines langen Sonnabends ? 993 686 Mark ? In einen Plastikkoffer, den der Mann zuvor für 78 Mark ein paar Etagen tiefer gekauft hatte.
"Mondgesicht" stellte zwei Metallzylinder neben die Kassentür und drohte: "Das ist eine .Lichtstrahlbombe', die sofort hochgeht, wenn jemand den Raum verläßt oder telefoniert." Später wurde festgestellt: Der Inhalt bestand aus Portland-Zement. Um 12.15 Uhr wurde "Mondgesicht" zum letzten Mal gesehen: Auf dem Flughafen Düsseldorf, wohin er sich im Taxi chauffieren ließ. Hauptkommissar Christian Rolshoven vom Kölner Raubdezernat meinte dafiiials: ?Ein tolles Gangsterstück, nüchtern und perfekt geplant und ausgefuhrt , ' Trotz 13 000 Mark Belohnung tötd 439 Spuren kam die Kripo nicht weiter.
Doch schließlich kam der Polizei der Zufall zu Hilfe. Als das ZDF für den 28. Juli vorigen Jahres den Krimi "Mondgesicht" ankündigte, brachten die Zeitungen noch einmal ein Phantombild des Räubers. Bei einem Berliner Steuerfahnder fiel der Groschen: "Das könnte der Mann sein, dessen plötzlichen Reichtum ich seit Monaten vergeblich zu klären suche."
Ende 1975 hatte sich eine Frau Lieselotte Meyer (39) In einem vornehmen Berliner Wohnviertel eine Luxusvilla mit Swimming-pool und Sauna (Schätzwert: 700 000 Mark) gekauft Da Frau Meyer zuvor kein Vermögen und kein Einkommen hatte, nahm die Steuerfahndung Ermittlungen auf. Die Polizei
legte sich auf die Lauer und entdeckte einen Mann, der sich ab und an in die Villa schlich. Es war der Herr Meyer.
Bei Durchsicht alter Fahndungsfotos entdeckten die Beamten Meyer ? freilich unter dem Namen Xaver Vinciguerra, geboren am 7. März 1937 In Ludwigshafen. Nach seiner Verurteilung zu vier-
Elgener Bericht
zi. Köln, 6. November
Staatsanwaltschaft meint, mit dem echten "Mondgesicht" in der Hauptrolle. Der Krimi brachte die Kripo auf die Spur des Maurers Xaver Meyer (41). Er soll im Kölner Kaufhaus Hertie eine runde Million abkassiert haben.
einhalb Jahren wegen Kaufhauseinbruchs im Jahre 1966 war er schon am 15. August 1967 aus der Haftanstalt Wuppertal ausgebrochen. Von Frau Lieselotte hatte er sich scheiden lassen, sie aber wenig später wieder geheiratet und ihren Familiennamen angenommen. Am 21. Dezember 1976 saß Meyer, vormals Vinciguerra, in der Strafanstalt Berlin-* Tegel wieder hinter Gittern. Aber woher der Reichtum kam, blieb welter unklar.
Nach dem Tip des Steuerfahnders rückten Kölner Kripo-Beamte in Berlin an. Auf alle Fragen schob er ihnen nur wortlos einen Zettel über den Tisch: "Bitte, verschonen Sie mich mit weiteren Fragen. Ich mache keine Aussage." So schweigsam blieb er bis heute. Nach dem Krlpo-Besuch reagierte Meyer umsichtig. Er fingierte einen Herzanfall und sprang Im Gefängnishospital quicklebendig von der Trage und zum Ausgang. Aber die Wachen waren wachsam.
"Mondgesicht" hungerte sich zum Neumond
Der nächste Streich folgte gleich: Meyer hungerte sich in wenigen Tagen 30 Pfund ab. Staatsanwältin Mösch verdattert: "Jetzt haben wir es mit einem Neumond zu tun." Dennoch erkannten zehn von 15 Zeugen den plötzlich so Hageren als "Mondgesicht".
Anklägerin Mösch will in dem Indizienprozeß auf fünf Trümpfe bauen: die Zeugen, die "Kaufhauserfahrung" des Angeklagten, den Ausbruchsversuch und die Abmagerungsmaskerade und vor allem auf einen Betrag von 920 000 Mark, den Meyer nach der Tat an Frau Lieselotte überwiesen hat. Wegen dieses Geldes ist die Frau der Begünstigung und Hehlerei mitangeklagt.
Während Meyer aus der Haft zum Prozeß vorgeführt wird, durfte sie mit ihren beiden Kindern weiter in der Luxusvilla bleiben. Ohne ein Urteil, das die Herkunft des Geldes aus dem Raub feststellt, ist die Villa unantastbar.
Anwalt Roos wartet zum Prozeßbeginn mit der Überraschung auf, daß sein bisher so schweigsamer Mandant aussagen will: "Er wird beweisen, daß er aus medizinischen Gründen abgenommen hat. Und er wird auch die Herkunft des Geldes erläutern." Nicht einmal die Zeugen, die "Mondgesicht" identifizierten, können Roos pessimistisch stimmen: "Die Zeugen wurden beeinflußt, weil vor der Gegenüberstellung schon überall Fotos von Herrn Meyer veröffentlicht wurden." Das "Mondgesicht" hat also noch ein paar Asse im ÄrmeL
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