Berlin. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern spricht ganz offen über ihre Erkrankung und wie sie ihr Leben umgestellt hat.

Leben mit Krebs – Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) macht als Politikerin seit vier Jahren vor, wie es geht. Die an Brustkrebs erkrankte Sozialdemokratin will mit maximaler Offenheit die Krankheit aus der Tabuzone holen. Auch in diesem Interview spricht sie über den Schicksalsschlag, der ihr Leben bis heute verändert hat.

Frau Ministerpräsidentin, Sie mussten sich 2019 einer Behandlung gegen Brustkrebs unterziehen, vor zwei Jahren gab es eine notwendige Folgeoperation. Wie geht es Ihnen heute?

Manuela Schwesig: Mir geht es gut und ich bin dankbar, dass ich jetzt schon vier Jahre krebsfrei bin. Ich hoffe sehr, dass ich die sogenannte „Fünf-Jahre-Überlebensrate“ nächstes Jahr erfolgreich hinter mich bringe, die ja aus medizinischer Sicht eine gute Prognose verspricht.

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Sind spürbare Einschränkungen in Ihrem Alltag geblieben?

Ich bin – wie viele andere Krebspatienten auch – noch in der Therapie-Nachsorge und gehe regelmäßig zu Untersuchungen. An diesen Tagen spürt man die Krebserkrankung erneut – und zwar mental. Weil man hofft, dass alles gut ist. Weil man schon die Erfahrung gemacht hat, dass es auch nicht gut sein kann, ist man vorher doch aufgeregt.

Was ist in Ihrem Alltag heute anders als vor der Erkrankung?

Durch die Erkrankung habe ich Demut und Stärke gewonnen. Demut vor dem Wert des Lebens. Wenn man Mitte 40 ist, macht man sich zum Glück nicht so viele Gedanken über schwere Erkrankungen oder den Tod. Gleichzeitig habe ich an Stärke gewonnen, weil ich gesehen habe, dass man bei einer derart schweren Bedrohung mit der Unterstützung von vielen Menschen durchkommen kann.

Ich habe Dinge in meinem Leben verändert, zum Beispiel mache ich noch mehr Sport als früher. Ich mache regelmäßig Entspannung und versuche zumindest einmal im Jahr in die Reha zu fahren, um fit zu bleiben. Und ich habe mir als Politikerin vorgenommen, keine Sitzungen mehr in die Nacht hinein abzuhalten. Bei wichtigen Ereignissen wie Corona oder der Energiekrise klappt das natürlich nicht immer. Aber ich achte mehr darauf als früher.

Hat dieser Einschnitt in Ihr Leben Ihre Politik verändert?

Ich hatte schon immer einen besonderen Blick auf die sozialen Themen, war Gesundheitsministerin und Familienministerin. Gesundes Aufwachsen von Kindern ist mir besonders wichtig. Das Thema Krebs mit seinen sozialen Folgen – zum Beispiel für Geringverdiener oder Alleinerziehende – hat für mich noch an Bedeutung gewonnen. Vor allem Familien, in denen ein Kind schwer erkrankt ist, brauchen besondere Unterstützung. Deshalb unterstützen wir zum Beispiel den Aufbau eines stationären Kinderhospizes bei uns im Land.

Sie sind von Anfang an sehr offen mit der Erkrankung umgegangen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Sehr gute. Ich war überwältigt von der großen Anteilnahme der Bevölkerung und sehr erleichtert, nachdem ich die Erkrankung öffentlich gemacht hatte. Das war für mich ein persönlicher Befreiungsschlag. Aber ich wusste nicht, wie die Reaktionen sein würden und war am Ende sehr positiv von der herzlichen Anteilnahme überrascht.

Warum ist Ihnen der offene Umgang mit dem Thema Krebs so wichtig?

Ich wollte einfach, dass alle wissen, was mit mir los ist und wie ich mit der Situation umgehe. Vor allem die Bürgerinnen und Bürger, aber auch meine Kollegen, die mich ja immer wieder vertreten mussten. Ich habe damals ja auch mein Amt als kommissarische SPD-Vorsitzende abgegeben, das wollte ich gut erklärt haben.

Gab es zu Ihrem Umgang mit der Krankheit auch ablehnende Reaktionen?

Anfangs nicht, aber später musste ich feststellen, dass nicht alle in der Opposition fair damit umgegangen sind und meine Krebserkrankung auch benutzt worden ist. Als ich mich 2022 einer weiteren Operation unterziehen musste – das war genau in der Zeit des russischen Angriffskrieges – hat mir die CDU unterstellt, dass ich mich wegducke. Das war wirklich ungeheuerlich, weil ich frisch aus dem Krankenhaus kam.

Wird die Krankheit mittlerweile so offen thematisiert, wie Sie sich das wünschen?

Es ist besser geworden, aber es gibt noch viel zu tun. Wie wichtig das ist, habe ich selbst erfahren. Um ein Beispiel zu nennen: Eine Frau hatte im Radio von meiner Erkrankung erfahren und sich entschlossen, zur Vorsorge zu gehen. Leider wurde dabei etwas entdeckt und sie hat sich bei mir bedankt, weil sie ohne diesen Anstoß durch mich nicht zum Arzt gegangen und es am Ende vielleicht schlimmer geendet wäre.

Je mehr wir dieses Thema ansprechen, umso mehr Sensibilität gibt es für die Vorsorge. Und wir dürfen nicht vergessen: Diese Krankheit betrifft jeden Zweiten. 500.000 Menschen erkranken jedes Jahr. Es gibt kaum jemanden, der – wenn er nicht selbst betroffen ist – nicht jemanden kennt, der Krebs hat oder hatte.

In Deutschland wurde der Impfstoff gegen das Coronavirus erfunden, jetzt arbeitet man an der Impfung gegen Krebs. Sind Sie zuversichtlich, dass die Wissenschaft hier den Durchbruch schafft?

Ja, das hoffe ich sehr.

Wenn Sie wieder so fit sind – was hält Sie davon ab, Ihren Hut für den SPD-Vorsitz wieder in den Ring zu werfen?

Wir haben zwei gute Parteivorsitzende, mit denen ich gut zusammenarbeite. Daher ist das für mich kein Thema.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Umgang mit Krebskranken im deutschen Gesundheitssystem? Sie haben es ja am eigenen Körper erlebt …

Es hat sich in den letzten Jahren viel verbessert. Therapiemöglichkeiten, die Begleitung von Kranken, der medizinische Fortschritt. Jetzt stehen wir wegen der demografischen Entwicklung und aufgrund des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen vor der großen Herausforderung, dafür zu sorgen, dass alle rechtzeitig ihre Vorsorgeuntersuchungen und Untersuchungen bei Verdachtsfällen bekommen. Das ist eine der größten Aufgaben und das muss auch mit der großen Krankenhausreform sichergestellt werden.

Es muss die beste Medizin bereitstehen, aber es nutzt nichts, wenn dies nur in einer Stadt gewährleistet ist. Die wohnortnahe Versorgung muss sichergestellt sein. Wir unterstützen in meinem Land die vernetzte Behandlung, dafür arbeiten die Universitätsstandorte Rostock und Greifswald eng zusammen, speziell bei Forschung, Behandlung und Prävention.

Was ist Ihre Botschaft für die Yes!Con., Europas größte Krebs-Convention, die an diesem Wochenende (4. und 5. Mai) in Berlin stattfindet?

Mit der Yes!Con. wollen wir informieren, die Krankheit aus der Tabuzone holen und den Betroffenen signalisieren: Du bist nicht allein! Gemeinsam kämpfen wir gegen Krebs.

Die YES!CON 5.0 findet am 4. und 5. Mai in der Hauptstadtrepräsentanz der Telekom, Französische Straße 33a-c, 10117 Berlin, statt. Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Anmeldung ist unter yescon.org möglich. Für alle, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird die Konferenz auch auf morgenpost.de live gestreamt.