In vielen Kommunen ist die Zeit des Nationalsozialismus nicht aufgearbeitet. Websitebetreiber bringen Licht ins Dunkel

Kreis Pinneberg. 8. April 1945. Die Wohnung von Erika Rohde am Fahltskamp 3 in Pinneberg wird von der Gestapo durchsucht. Es wird vermutet, dass die Frau aus ihrer Wohnung heraus Funkverbindungen zu den Alliierten unterhält. Erika Rohde ist tatsächlich in der Widerstandsgruppe „Kampf dem Faschismus“ aktiv und wird von der Gestapo verhaftet. Anders als die meisten ihrer Mitstreiter überlebt sie das Konzentrationslager Fuhlsbüttel.

Dort wo Rohde einst wohnte, erinnert nichts mehr an das, was sich dort vor 70 Jahren abgespielt hat – heute gibt es hier Juwelier, Modekette und Dönerladen, die Stadt hat sich weiterentwickelt. Dafür, dass Menschen wie die Widerstandskämpferin Erika Rohde trotzdem nicht in Vergessenheit geraten, wollen die Betreiber der Website „www.spurensuche-kreis-pinneberg.de“ sorgen. Die Hobbyhistoriker möchten daran erinnern, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht nur in den großen Städten wie Hamburg und Berlin verübt wurden, „sondern überall, auch hier im Kreis“, so Erhard Vogt aus Uetersen. Zusammen mit Jörg Penning und Rudi Arendt bildet er den Vorstand des Fördervereins Gegen das Vergessen – Spurensuche im Kreis Pinneberg und Umgebung 1933-1945, der die Website betreibt. Die 18 Mitglieder kommen aus verschiedenen anderen Kreisen, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus befassen. Opfer, wie etwa Erika Rohde, wollen sie „nachträglich würdigen“, sagt Penning.

Auf die Idee gekommen seien sie durch eine Spurensuch-Website für die Stadt Bremen und weil sie eine Übersicht für im Kreis Pinneberg verlegte Stolpersteine schaffen wollten. Stolpersteine setzt der Künstler Gunter Demnig vor Häusern in den Fußweg ein, in denen einst Opfer der Nazis wohnten. An die dreißig davon gibt es im Kreis bis jetzt.

Den Mittelpunkt der Website bildet eine Landkarte des Kreises Pinneberg. Darauf sind in unterschiedlichen Farben Punkte markiert. Jedem Punkt oder jeder Spur, wie die Website-Betreiber sagen, ist ein bestimmtes Ereignis, eine Person und ein Datum, zugeordnet. Besucher der Website könnten so einsehen, was einst in ihrer Gemeinde, ihrer Straße oder gar in ihrem Haus geschah, sagt Vereinsmitglied Enno Hasbargen. 30 bis 50 mal werde die Seite täglich angeklickt – am Wochenende noch deutlich häufiger. Die Betreiber sind mit der Resonanz sehr zufrieden.

Für die Spurensuche begeben sie sich vor allem in Archive und Einwohnermeldeämter, wo sie Akten durchstöbern. Teilweise sei die Suche aber noch schwieriger, meint Erhard Vogt und nennt ein Beispiel aus Uetersen: Viele der damals in der Stadt ansässigen Firmen hätten Zwangsarbeiter beschäftigt. Über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen sei heute wenig genaues bekannt. Um mehr über sie zu erfahren, möchte Vogt mit ihnen in Kontakt treten. Die Suche nach ihren Kontaktdaten erwies sich jedoch als schwierig.

Er stellte fest, dass das Rathaus in Besitz der Daten sein müsste. Denn den ehemaligen Zwangsarbeitern wurde 1957 das Recht auf eine von Deutschland gezahlte Rente zugesprochen, geregelt wurde das im Bundesrückerstattungsgesetz. Um ihre Rente zu erhalten, mussten Zwangsarbeiter sich an die Verwaltung des Gebietes wenden, in dem sie eingesetzt worden waren – in Uetersen an das Rathaus. Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen die Daten aber nicht an die Spurensucher herausgegeben werden. Vogt habe daher ein Schreiben in fünf Sprachen formuliert, in welchem er die Zwangsarbeiter bittet, sich bei ihm zu melden. Dieses habe er der Uetersener Verwaltung übergeben, die es an die ehemaligen Zwangsarbeiter weiterleiten soll. Dieser Prozess dauere noch an.

In manchen Orten sorgen die Nachforschungen der Spurensucher für Unruhe, etwa in Quickborn. Jörg Penning hatte letztes Jahr herausgefunden, dass ein Birkenwäldchen, in dem der Kommunist Paul Warnecke von Nazis erschossen wurde, vom Gemeinderat 1946 nach ihm benannt wurde. Die Umbenennung wurde jedoch nie formal durchgeführt Ob das nachträglich getan werden soll, wurde heiß debattiert und am Ende vom Gemeinderat abgelehnt (das Abendblatt berichtete damals).

An der Spurensuche kann sich jeder beteiligen – die Website ist interaktiv. Die Gruppe hofft, durch die Präsenz im Internet auch jüngere Menschen anzusprechen und zu eigenen Nachforschungen zu animieren. Für dieses Jahr planen die Spurensucher daher beispielsweise einen Schülerwettbewerb.

Nicht nur nach Opfern werde gesucht, genauso im Fokus stünden die Täter. Dafür werten sie etwa Entnazifizierungs- und Prozessakten aus. So konnte auch festgestellt werden, dass Erika Rohde gegen den Halstenbeker Gestapo-Beamten Henry Helms ausgesagt hat. Er war von 1941 an SS-Sturmführer und wurde 1949 zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt – eine neue Spur. Nach und nach fülle sich die Karte der Spurensucher-Website: Penning sagt, man wolle die Karte so lange füttern „bis keine weißen Flecken mehr zu sehen sind.“