Bersani ist außerhalb Italiens nahezu unbekannt – noch. Denn der Spitzenkandidat des Mitte-Links-Lagers hat gute Chancen, Premier zu werden.

Rom. Wenn die letzten Meinungsumfragen zutreffen, wird er die Wahl in Italien gewinnen. Nein, es handelt sich nicht um Silvio Berlusconi, den extravaganten Medien-Mogul, der mal wieder ein Comeback versucht. Es ist auch nicht der Star-Ökonom Mario Monti, der mit Unterstützung der Finanzwelt Ministerpräsident geworden war und Italien – zumindest vorübergehend – vor dem Bankrott rettete. Pier Luigi Bersani heißt der große Favorit – ein ehemaliger Kommunist mit einem unspektakulären Lebenslauf, den außerhalb Italiens bislang kaum jemand kennt.

Die hohe Stirn in tiefe Falten gelegt – so war er auf den ersten Wahlkampfplakaten zu sehen. Dabei wirkte der passionierte Zigarrenraucher so streng und hart, dass seine Anhänger ihn schließlich erfolgreich dazu drängten, ein neues Foto zu wählen, auf dem er lächelt.

Doch Aussehen spielt derzeit offensichtlich keine große Rolle mehr. In einer Vorwahl im vergangenen Herbst schlug Bersani den jungen, saloppen und gut aussehenden Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, deutlich und wurde so zum Spitzenkandidaten des Mitte-Links-Bündnisses für das Amt des Ministerpräsidenten.

Nach den wilden Berlusconi-Jahren übt das komplette Fehlen von Glanz und Glamour für viele Wähler in Italien offenbar einen großen Reiz aus. „Sein größtes Plus ist, dass er genau das Gegenteil von Berlusconi ist“, sagt Jonathan Hopkin, ein Politwissenschaftler an der London School of Economics. „Berlusconi ist ein Showman. Er (Bersani) ist nicht unterhaltsam.“

Der Aufstieg Bersanis basiert aber vor allem darauf, dass es ihm gelungen ist, die Anhänger und das Netzwerk der ehemaligen Kommunistischen Partei für sich zu gewinnen. Ende Januar stand Bersanis Bündnis bei 33 Prozent, Berlusconi bei 27 Prozent. In den letzten zwei Wochen vor der Wahl dürfen in Italien laut Gesetz keine Umfragen veröffentlicht werden.

Mit seinem pragmatischen Umgang in der jüngsten Krise im Land hat Bersani allerdings auch riskiert, sich von seiner Basis zu entfremden. Im Parlament war er treuester Gefolgsmann des bisherigen Ministerpräsidenten Monti. Bersani unterstützte beharrlich und bisweilen stur die notwendigen Reformen – auch wenn sie – wie etwa die Anhebung des Rentenalters – an lange gehegten Grundsätzen seines Lagers rüttelten.

Nur Monti wird voraussichtlich eher der Königsmacher denn der König selbst werden. Sein Mitte-Bündnis liegt derzeit bei nur etwa 15 Prozent der Stimmen. Am Ende könnte es somit darauf hinauslaufen, dass Bersani Ministerpräsident wird und Monti einen Spitzenposten im Wirtschaftsressort bekommt.

Geboren wurde Bersani am 29. September 1951 – genau am gleichen Tag, aber 15 Jahre später als sein heutiger Kontrahent Berlusconi. Er wuchs in der Emilia-Romagna auf. Die Region im Norden Italiens gilt als Hochburg der Kommunisten. Sein Vater war Automechaniker und betrieb eine Tankstelle, ein Bild auf der Bersanis Homepage zeigt die Familie vor zwei Zapfsäulen.

In seiner Autobiografie beschreibt Bersani eine Episode aus seiner Kindheit, die seinen Sinn für Gerechtigkeit zeigt. Als Ministrant organisierte er einmal einen Streik in der Kirche. Grund war, dass der Priester sich weigerte, die Trinkgelder aufzuteilen, die die Menschen nach Hochzeiten oder Taufen gaben. „Der Priester nahm das Geld an sich und kaufte uns dann nur ein paar Süßigkeiten und Nougat-Riegel an Ostern und Weihnachten. Das fand ich nicht fair“, schrieb Bersani.

Während einer Messe zogen die Ministranten plötzlich ihre Soutanen aus und verließen die Kirche. „Am nächsten Weihnachtsfest gab uns der Priester dann einen gleichwertigen Anteil der Trinkgelder des Jahres - unter einer Bedingung: Unsere Mütter mussten wissen, wie viel Geld wir bekamen.“

Fairness und Gerechtigkeit sind zentrale Wahlversprechen Bersanis. „Bei der ersten Kabinettssitzung müssen wir an diejenigen denken, die nichts zu essen haben“, sagte er kürzlich auf einer Wahlkampf-Veranstaltung.

Bersani spielte eine Schlüsselrolle bei der Reform der Kommunistischen Partei Italiens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Sogar als junger Mann sei die Sowjetunion immer ein Synonym für Unterdrückung gewesen“, heißt es in seiner Autobiografie. Seine heutige Demokratische Partei (PD) sieht sich von den Demokraten unter US-Präsident Barack Obama inspiriert. Die Wurzeln in der Kommunistischen Partei Italiens erwähnt Bersani auf seiner Webseite jedenfalls nicht.

Seit er 2009 Parteichef wurde hat Bersani versucht die häufig verzankten linken Fraktionen zu vereinen – bislang vergeblich und möglicherweise auch unmöglich. Denn die Spitzenkräfte der Partei haben teils gegensätzliche Hintergründe – von Anhängern der früheren Mitte-Links-Partei Democrazia Cristiana bis hin zu militanten Altkommunisten.