Eine Partynacht in Rot-Weiß-Blau: In Berlin feiern Politiker und Prominente ihren amerikanischen Traum. Ein Ortstermin.

Berlin. In Oslo ist tote Hose. Ein paar Anzugträger stehen versprengt im Hintergrund herum, vorn lächelt eine junge, blonde Frau etwas verlegen in die Kamera. Im Berlin ist man da viel ungehemmter. Zwei Mittdreißiger im schwarzen Hemd, den obersten Knopf offen, sorgfältige Gelfrisur, prosten ihr johlend mit einem Glas Grauburgunder zu. "Yes, we can"-Wahlparty. Besser als in Norwegen auf jeden Fall.

Per Internet wurde in der schicken Bertelsmann-Repräsentanz in Berlin-Mitte eine Art Live-Schaltung installiert, die Gäste der Berliner Wahlparty können also den Gästen der Osloer Wahlparty über den Computer zuwinken. Nur, dass in Norwegens Hauptstadt so gut wie niemand winkt und alles ein bisschen gediegener zugeht. Anders an der Spree: Jubeltrubel, die Nacht ist lang, es gibt Fast Food, natürlich, und auch etwas Alkohol. Die Veranstalter dieser Wahlparty sind die Fernsehsender CNN, n-tv und RTL, und sie haben ganz schön was aufgefahren, um die Nacht so amerikanisch wie möglich zu machen. Es gibt Luftballons in Blau, Weiß und Rot, Girlanden, USA-Flaggen auf den Tischen, die Hostessen tragen kleine Glitzerzylinder in den US-Farben auf dem Kopf.

Sogar einige echte Amerikaner wurden eingeladen, etwa Philip Murphy, US-Botschafter, qua Amt ein kompetenter Ansprechpartner für diesen Wahlabend ("Mein Herz ist für Obama, keine Frage") - und Bruce Darnell. Wer auf Pro7 vor ein paar Jahren "Germany's next Topmodel" gesehen hat, weiß, wer das ist ("Die Handtasche muss lebendig sein"), ebenso die Zuschauer der RTL-Castingshow "Das Supertalent". Dort saß Darnell neben Dieter Bohlen am Jurorenpult und wusste: "Das ist der Wahrheit." Und wer Bruce Darnell reden hört, merkt am Akzent: Auch er kommt aus den USA.

Also ist er nicht nur Stargast in der Runde von n-tv-Moderator Heiner Bremer, der direkt aus einem angeschlossenen Studio sendet, sondern auch als Experte beim ZDF unterwegs ist, nur wenige Hundert Meter vom Bertelsmann-Haus entfernt. Klischees müssten bei so einem Ereignis einfach aufgegriffen werden, befand n-tv-Sprecher Thomas Hellwege vor der Party. Na, dann.

Wichtigstes Accessoire des Abends: der Button. Gleich am Eingang stehen zwei große Gläser, eines gefüllt mit Obama-Buttons, das andere mit Romney-Buttons. Die Obama-Buttons sind der Renner, mehrmals muss das Glas nachgefüllt werden, und um halb zwei in der Nacht ist der Vorrat erschöpft. Ob das Romney-Glas zu diesem Zeitpunkt noch immer halb voll ist oder schon halb leer bleibt - Ansichtssache. Obwohl man sich das bei der Button-Produktion natürlich hätte denken können: Erst wenige Tage vor der Wahl hatte eine Umfrage ergeben, dass 91 Prozent der Deutschen Barack Obama wählen würden, wenn sie denn könnten. Vor allem deshalb hat der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen zum Romney-Button gegriffen. "Sonst sind hier ja alle für Obama, also bin ich jetzt mal für die Minderheit", sagt er. Wer diplomatisch sein will, trägt einfach beide Varianten nebeneinander.

Gut 600 Leute sind zur Bertelsmann-Wahlparty gekommen, und bis nach Mitternacht ist wirklich was los. Eine Trio macht Musik, anfangs noch Jazz-Varianten von Bobby Hebbs Klassiker "Sunny" oder "Valerie" von Amy Winehouse, zu Michael Jacksons "Billy Jean" wird später sogar getanzt. In einer Ecke ist eine Fotowand aufgestellt, sie zeigt das Weiße Haus, davor gibt es lebensgroße Pappfiguren von Obama und Romney, wobei Papp-Romney irgendwann allein abseits im Schatten steht, weil sich jeder nur mit Obama fotografieren lassen will.

Ein regelrechtes Obama-Fieber wie bei der Wahl 2008 bricht aber nicht aus. Auch als ab ein Uhr erste Ergebnisse über die Leinwände flackern, bleibt es ruhig, weder gibt es Jubel für Obama-Stimmen noch Buhrufe für Romney-Stimmen oder umgekehrt. Vielleicht liegt das auch ein bisschen daran, dass viele Gäste schlicht den Mund voll haben, denn Essen gibt es wirklich im Überfluss. Es wird Burgerfleisch gebraten, Bagels, Wraps und Hotdogs mit Chili und Käse serviert, es gibt ein ganzes Regal mit zuckergussglasierten Donuts in Rosa, Türkis oder Schokobraun. Erst gegen halb fünf, als nur noch eingefleischte US-Fans an den Bistrotischen stehen, hören die Kellner auf, die Kalorienbomben nachzufüllen.

Knapp 50 Leute sind zu diesem Zeitpunkt noch auf der Wahlparty, die Band hat aufgehört zu spielen, wer will, kann sich die Reste vom Büfett stilecht im Doggybag mit nach Hause nehmen. Bremers Live-Sendung ist längst vorbei. "Ich dachte, ich kann um drei nach Hause fahren", seufzt eine junge Berlinerin, die vor der Großbildleinwand sitzt und auf das Ergebnis wartet.

Beim ZDF sind die Gäste hartnäckiger. Als um 5.16 Uhr klar ist, dass Barack Obama Präsident bleiben wird, sind noch viele vor Ort. Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der zwei Stunden vorher noch in der Bertelsmann-Repräsentanz Hände geschüttelt hat, sitzt um kurz vor sechs bei Moderatorin Bettina Schausten auf der Couch, freut sich über das Ergebnis und darüber, dass die politische Arbeit in den USA nun auch sofort weitergehen kann. Auch in seine Rolle als Ex-Außenminister schlüpft Steinmeier noch einmal: "Auch mit einem europäischen Blick ist Barack Obama der richtige Präsident für die USA." Bettina Schausten kündigt an, dass es jetzt Frühstück für die Gäste geben wird. Draußen fängt so langsam der Berufsverkehr an sich durch den Nieselregen zu schieben. Der Kontakt zu Oslo ist längst abgebrochen.