Berlin. Eine UN-Studie charakterisiert Männer aus arabischen Staaten. Dabei könnte die Flüchtlingskrise ein düsteres Selbstbild korrigieren.

Nicht erst seit den Silvester-Übegriffen von Köln im Jahr 2015 werden arabische Männer in der Öffentlichkeit als frauenverachtend, gewalttätig und lernresistent charakterisiert. Eine UN-Studie könnte eine teils unsachliche Debatte zu dem Thema nun mit Fakten unterfüttern.

Das Ergebnis der Umfrage unter Tausenden Frauen und Männern in arabischen Staaten stimmt wenig positiv. Doch ausgerechnet die Flüchtlingskrise könnte das Rollenbild verändern.

Es war Anfang 2017 als die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer Zuwanderern aus dem nordafrikanischen Raum vorwarf, gezielt Jagd auf Frauen zu machen. „Wir haben es hier mit einer Art Terrorismus zu tun“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Ausgangspunkt der Aussage war die Debatte um massenhafte Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht 2015 und die anschließende Diskussion darüber, ob die Polizei nordafrikanische Verdächtige intern „Nafris“ nennen dürfe.

Nicht nur Schwarzer zeichnete ein düsteres Porträt des arabischen Mannes, das mit Farben der Emotion, aber selten mit scharfen Konturlinien aus Fakten gemalt wurde.

Laut Studie sehen arabische Männer die Frau am liebsten hinterm Herd

Ein Frau in ihrer Kueche in Tidhrest, Marokko. Für viele Männer in arabischen Staaten ist die Hausarbeit die Hauptaufgabe von Frauen.
Ein Frau in ihrer Kueche in Tidhrest, Marokko. Für viele Männer in arabischen Staaten ist die Hausarbeit die Hauptaufgabe von Frauen. © imago/photothek | Ute Grabowsky / photothek.net

Doch unterscheiden sich die Fakten so sehr von der Wahrnehmung? Die UN-Studie mit dem Titel „Understanding Masculinities“ hat in Ägypten, Marokko, Palästina und im Libanon insgesamt 4830 Männer und 4937 Frauen im Alter von 18 bis 59 Jahren in einer qualitativen wie quantitativen Umfrage zum Selbstverständnis des Mannes befragt. Eine vergleichbare Studie hatte es noch nie gegeben. „Ich habe großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die die Erhebung in diesen Ländern durchgeführt haben“, sagt Diana Baumgarten, Gender-Forscherin an den Universitäten Dortmund und Basel unserer Redaktion.

Das Ergebnis der Studie: Die Männer sind geprägt von patriarchalischen Denkmustern, in denen es die wichtigste Aufgabe der Frau ist, den Haushalt zu erledigen. Dies gaben in Marokko, Palästina und Ägypten 70 Prozent der befragten Männer an.

Auch Gewalt spielt eine Rolle: Zwischen zehn und 45 Prozent der Männer gaben zu, in ihrer Ehe der Frau bereits Gewalt angetan zu haben. Von den befragten Frauen wurden 45 Prozent nach eigenen Angaben schon Opfer häuslicher Gewalt. Das ist deutlich mehr als in Deutschland. Zum Vergleich: In Deutschland haben laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 25 Prozent der Frauen in ihrem Leben mindestens einmal häusliche Gewalt erlebt.

Zur Datenlage in Deutschland sagt Diana Baumgarten: „Untersuchungen in Deutschland und Europa sind sehr viel differenzierter als es die UN-Studie ist.“ Da sowohl Ministerien wie auch das statistische Bundesamt regelmäßig Daten erheben, thematisierten Studien eher Detailfragen – so zum Beispiel im Deutschen Männergesundheitsbericht.

Sind Flüchtlinge krimineller als Deutsche?

weitere Videos

    Die Studie „Understanding Masculinities“ zeichnet zwar ein großes Gemälde, ein Schwerpunkt liegt jedoch auf Gewalt. Gewalt und die Missachtung der Gleichberechtigung der Geschlechter finden dabei nicht nur verborgen im Privaten, sondern auch in der Öffentlichkeit statt. Auf den Märkten, auf Partys und in den Gassen zeigt sich die tägliche Erniedrigung. In Ägypten gaben 60 Prozent der Männer an, Frauen in der Öffentlichkeit belästigt zu haben, in den anderen Ländern waren es mindestens 31 Prozent.

    Der Ursprung der Frauenverachtung

    Woher kommt diese sexistische und frauenverachtende Verhalten? Die UN-Studie sieht dafür mehrere Gründe. So herrscht in Ägypten, Marokko, Palästina und im Libanon vor allem in Familien eine Kultur der Gewalt. Zwischen 29 und 50 Prozent der Männer gaben an, Gewalt gegen ihre Kinder auszuüben – bei den Frauen waren es sogar 40 bis 80 Prozent.

    Eine Annahme der Studie besagt, dass Kinder, die Gewalt erlebt haben, später eher dazu neigen, selbst gewalttätig zu werden. Hinzu komme aktuell, dass Männer im Libanon und Palästina auch im Erwachsenenalter Opfer von Gewalt werden – zum Beispiel als syrische Flüchtlinge oder in den besetzten Palästinensergebieten. Männer mit diesen Erfahrungen neigten laut UN eher dazu, ihren Frauen Gewalt anzutun. Ähnliche Beobachtungen gab es nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland. Laut der Wissenschaftlerin Diana Baumgarten neigen auch Männer, die im Krieg Gewalt erlebt haben, eher dazu, häusliche Konflikte mit Gewalt zu lösen. Ähnliche Entwicklungen sind auch bei US-Soldaten zu beobachten, die aus dem Irak-Krieg heimgekehrt sind.

    In den arabischen Staaten scheint sich dieser Gewaltkreislauf auf den ersten Blick nicht durchbrechen zu lassen. Laut UN ist es erstaunlich, dass sich die Ansichten von jüngeren und älteren Männern in Bezug auf die Gleichberechtigung der Frau decken. In anderen Regionen sei es stets so gewesen, dass die jüngere Generation aufgeschlossener war.

    Doch nicht nur Großväter, Väter und Söhne scheinen patriarchalische Ansichten zu teilen. In Ägypten etwa teilen auch Frauen in ähnlichem Maße eine (pessimistische) Einstellung zu Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, wie die UN-Studie verrät.

    Unterschiede von Burka, Niqab und Co.

    Burka, Niqab, Hidschab: In der islamischen Welt tragen Frauen verschiedene Verschleierungen. Sie unterscheiden sich stark voneinander. Die extremste Form der Verschleierung ist die Burka. Das Ganzkörpergewand, das die Augen mit Stoff verdeckt, ist vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet. In Afghanistan sind die Burkas meist blau, sie werden aber auch in anderen Farben gefertigt. Am meisten verbreitet in europäischen Ländern sind...
    Burka, Niqab, Hidschab: In der islamischen Welt tragen Frauen verschiedene Verschleierungen. Sie unterscheiden sich stark voneinander. Die extremste Form der Verschleierung ist die Burka. Das Ganzkörpergewand, das die Augen mit Stoff verdeckt, ist vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet. In Afghanistan sind die Burkas meist blau, sie werden aber auch in anderen Farben gefertigt. Am meisten verbreitet in europäischen Ländern sind... © imago/Paulo Amorim | imago stock&people
    ... die schwarzen Burkas. Die Vollverschleierung dient auch dazu, ärmere Kleidung zu verbergen. Bis zum Ende der Taliban-Herrschaft in Afghanistan galt eine Burka-Pflicht. Trotzdem verlassen die meisten Frauen das Haus nach wie vor nicht ohne die Verschleierung.
    ... die schwarzen Burkas. Die Vollverschleierung dient auch dazu, ärmere Kleidung zu verbergen. Bis zum Ende der Taliban-Herrschaft in Afghanistan galt eine Burka-Pflicht. Trotzdem verlassen die meisten Frauen das Haus nach wie vor nicht ohne die Verschleierung. © REUTERS | © Gonzalo Fuentes / Reuters
    Das zweite traditionelle Kleidungsstück der Vollverschleierung ist der sogenannte Niqab. Der Unterschied zur Burka besteht darin, dass die Augenpartie sichtbar ist. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinen-Kultur auf der Arabischen Halbinsel, er diente in erster Linie als Sonnenschutz. Es gibt wie auch bei den anderen Kleidungsstücken diverse Variationen. Der einfache Niqab wird hinter dem Kopf verknotet, eine andere Variante wird mit einem Stirnband befestigt. Vor allem...
    Das zweite traditionelle Kleidungsstück der Vollverschleierung ist der sogenannte Niqab. Der Unterschied zur Burka besteht darin, dass die Augenpartie sichtbar ist. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinen-Kultur auf der Arabischen Halbinsel, er diente in erster Linie als Sonnenschutz. Es gibt wie auch bei den anderen Kleidungsstücken diverse Variationen. Der einfache Niqab wird hinter dem Kopf verknotet, eine andere Variante wird mit einem Stirnband befestigt. Vor allem... © Gwendoline Le Goff / PanoramiC
    ... in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak tragen Frauen den Niqab. Aber auch in anderen nordafrikanischen Ländern ist die Vollverschleierung verbreitet. Die Verbote in den europäischen Ländern betreffen die Burka und auch die Niqabs – und somit alle Formen der Vollverschleierung. Der Niqab wird gewöhnlich kombiniert mit dem sogenannten Tschador. Dieser wird auch allein getragen, ...
    ... in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak tragen Frauen den Niqab. Aber auch in anderen nordafrikanischen Ländern ist die Vollverschleierung verbreitet. Die Verbote in den europäischen Ländern betreffen die Burka und auch die Niqabs – und somit alle Formen der Vollverschleierung. Der Niqab wird gewöhnlich kombiniert mit dem sogenannten Tschador. Dieser wird auch allein getragen, ... © dpa | Boris Roessler
    ... so dass die Frauen sehr viel mehr Gesicht zeigen. Der Tschador ist vor allem im Iran verbreitet. Die Frauen tragen diesen Umhang um Kopf und Körper, wobei die Motive dafür ganz unterschiedlich sind. Für einige Berufszweige ist diese Verschleierung sogar verpflichtend, zum Beispiel in Schulen.
    ... so dass die Frauen sehr viel mehr Gesicht zeigen. Der Tschador ist vor allem im Iran verbreitet. Die Frauen tragen diesen Umhang um Kopf und Körper, wobei die Motive dafür ganz unterschiedlich sind. Für einige Berufszweige ist diese Verschleierung sogar verpflichtend, zum Beispiel in Schulen. © imago / Xinhua
    Vor der islamischen Revolution galt im Iran vorübergehend ein Verbot des Hijabs und somit jeglicher Verschleierung. Später durften Frauen nur noch mit Hijab für staatliche Institutionen arbeiten und letztlich wurde der Tschador für alle Mädchen und Frauen ab neun Jahren verpflichtend eingeführt.
    Vor der islamischen Revolution galt im Iran vorübergehend ein Verbot des Hijabs und somit jeglicher Verschleierung. Später durften Frauen nur noch mit Hijab für staatliche Institutionen arbeiten und letztlich wurde der Tschador für alle Mädchen und Frauen ab neun Jahren verpflichtend eingeführt. © imago/JOKER | imago stock&people
    Der Hidschab, das Kopftuch, ist die häufigste Form der Verschleierung. Ein einfaches Kopftuch bedeckt Haare, Ohren und den Hals. In zahlreichen muslimischen Ländern ist diese Form der Verschleierung Pflicht.
    Der Hidschab, das Kopftuch, ist die häufigste Form der Verschleierung. Ein einfaches Kopftuch bedeckt Haare, Ohren und den Hals. In zahlreichen muslimischen Ländern ist diese Form der Verschleierung Pflicht. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
    Für viele Frauen ist das Kopftuch nicht nur Bekenntnis zu ihrer Religion, sondern auch ein Ausdruck von Modebewusstsein.
    Für viele Frauen ist das Kopftuch nicht nur Bekenntnis zu ihrer Religion, sondern auch ein Ausdruck von Modebewusstsein. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
    1/8

    Wie die Flüchtlingskrise Rollenbilder verschiebt

    Anhänger der Ansichten von Alice Schwarzer zu den Kölner Silvesterübergriffen könnten nun noch stärker als zuvor vor der Zuwanderung von arabischen Männern warnen. Doch ausgerechnet in männlichen Flüchtlingen liegt laut UN-Studie eine Chance zum Wandel.

    Denn während zahlreiche Männer vor Verfolgung in der Heimat flüchten oder im Ausland nach Arbeit suchen, übernehmen Frauen im Haus ihre Rollen. Die Mütter werden dann zu Versorgern und Familienoberhäuptern. Die Vereinten Nationen beobachten, dass ein zunehmender Teil von Männern diesen Rollentausch dann auch dauerhaft akzeptiert. „Dass es diese Studie gibt, zeigt dass es in den untersuchten Ländern jetzt schon viele Menschen gibt, die sich für das Thema einsetzen“, sagt Expertin Baumgarten.

    Geld und Zwang können Rollenbilder verschieben

    In den vier arabischen Ländern – Ägypten, Marokko, Palästina und im Libanon – ist Gleichberechtigung allerdings immer auch eine Frage des Geldes. Wohlstand und eine höhere Bildung führten laut UN dazu, dass arabische Männer Frauen gegenüber positiver eingestellt sind. Auch die Bildung der Mutter und die Rolle des Vaters im Haushalt sind für das Rollenverständnis entscheidend.

    Neben Geld und externem Zwang durch die Flüchtlingskrise sieht die UN auch Chancen bei Vorbildern, die Rollenbilder verändern. Engagierte Frauen könnten etwa Männern deutlich machen, dass Erfolg keine Frage des Geschlechtes ist. Zudem würde sie die Meinung von jungen Frauen zur Gleichberechtigung beeinflussen.

    Trotz dieses positiven Ausblicks bleibt jedoch die ernüchternde Zustandsanalyse, die die UN-Studie „Understanding Masculinities“ prägt. Das von Politikern oft vorgebrachte Argument, dass Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in Krisenregionen kaum gelöst werden könnten, lässt die Wissenschaftlerin Baumgarten jedoch nicht gelten. „Gerade wenn man über die Neuordnung von Gesellschaften spricht, sollte man von vornherein auch über Geschlechtergerechtigkeit sprechen“, sagt sie. Dass es den Auftrag zu der Studie gegeben habe, zeige, dass das Thema innerhalb der Vereinten Nationen eine Rolle spiele. Offen bleibt nun, ob das Ergebnis der Studie auch konkrete Hilfsprojekte zur Folge haben wird.