London. Die Brexit-Gegner in Großbritannien geben nicht auf. Für viele Aktivisten ist die Neuwahl ein Chance, den EU-Austritt doch abzuwenden.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. „Es ist nicht zu spät, unsere Meinung zu ändern“, appelliert Stephen Dorrell von der Organisation „European Movement“. Der ehemalige britische Kabinettsminister will seine Landsleute davon überzeugen, dass der Brexit eine ganz schlechte Idee ist.

Bei den kommenden Wahlen, drängt Dorrell, sollen Europafreunde taktisch wählen. Immerhin waren 48 Prozent der Briten, die sogenannten Remainers, im Referendum für einen Verbleib in der Europäischen Union. Sie sollen jetzt Parteiloyalitäten vergessen und ausschließlich für pro-europäische Kandidaten stimmen.

Ist Exit vom Brexit noch möglich?

Vielleicht, so die Hoffnung, könnte es doch noch einen Exit vom Brexit geben. Tony Blair haut in die gleiche Kerbe. „Der Schaden für das Land wird riesig sein“, schrieb der Ex-Premierminister, „wenn es am Ende eine Mehrheit für den Brexit um jeden Preis gibt.“ Auch Blair fordert die Remainers auf, jetzt „das nationale Interesse vor das Parteiinteresse zu stellen“ und dafür zu sorgen, dass genug Brexit-skeptische Abgeordnete am 8. Juni ins Unterhaus geschickt werden.

Großbritannien: Theresa May kündigt Neuwahlen an

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    Was die beiden Elder Statesmen bei ihren Appellen vernachlässigen: Es wird kaum einen Exit vom Brexit geben. Eine parlamentarische Mehrheit dafür ist völlig unrealistisch. Die letzte Meinungsumfrage vom Donnerstag sieht die Konservativen bei 48 Prozent und die stärkste Oppositionspartei Labour abgeschlagen bei 24 Prozent.

    Für May könnte am Ende eine Große Mehrheit stehen

    Premierministerin Theresa May darf sich bei diesen Zahlen sogar Hoffnungen machen, die größte absolute Mehrheit in der britischen Geschichte erringen zu können. Und dazu kommt: Viele Remainers haben sich mit dem Brexit abgefunden. Die Stimmung im Land ist: Jetzt haben wir entschieden, jetzt ziehen wir das durch. „Wenn wir morgen eine Wiederholung des Referendums hätten, würden wir das gleiche Resultat bekommen“, meint James McGrory, Direktor der Organisation „Open Britain“, die sich dafür einsetzt, Großbritannien in Europa zu halten.

    Ist ein Exit vom Brexit auch illusorisch, so heißt das noch lange nicht, das die Europafreunde im Königreich einfach aufgeben würden. Für sie geht es jetzt vor allem darum, den Brexit abzufedern: Kein harter, kein Kamikaze-Brexit soll es werden, bei dem die wirtschaftlichen Schäden unabsehbar wären, sondern ein möglichst weicher Brexit, bei dem Großbritannien noch einen weitestmöglichen Zugang zum Binnenmarkt bewahrt.

    Aktivisten sammeln Spenden für Kampagne

    Darauf arbeiten jetzt die Remainers hin. Gina Miller, jene Frau, die Theresa Mays Regierung vor den Supreme Court zerrte, um ein Mitspracherecht des Parlaments beim Brexit durchzusetzen, hat eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um „den größten Feldzug überhaupt für taktisches Wählen“ zu führen. Sie setzte sich ein Ziel von 10.000 Pfund. Zwei Tage, nachdem die Kampagne begann, waren schon 130.000 Pfund von mehr als 4500 Spendern eingesammelt. Und das Geld strömt weiter.

    Die neugegründete Wochenzeitung „New European“ gibt sich ungeniert europäisch, macht sich zum Sprachrohr der „48 Prozent“ und hat soviel Zuspruch bei den Remainers, dass es sich trotz allgemeiner Zeitungskrise am Markt halten kann. Die Aktivistin Becky Snowden hat eine Übersicht über alle 650 Wahlkreise im Königreich verfasst, die zur Zeit auf Twitter und Facebook trendet. Das Dokument informiert jeden Wähler, je nachdem, wo er wohnt, welche Partei in seinem Wahlkreis die größten Chancen gegen den Kandidaten der Konservativen hätte.

    Welche Parteien Brexit-Gegner wählen sollten

    Und wen sollte man wählen? Am keltischen Rand Großbritanniens treten vor allem die nationalistischen Parteien für Europa ein. In Schottland wäre das die SNP, in Wales die Nationalisten von Plaid Cymru und in Nordirland die republikanische Sinn Fein. Landesweit aber haben sich als die deutlichste pro-europäische Alternative zur Regierungspartei vor allem die Liberaldemokraten erwiesen.

    Sie haben sich als eine kompromisslose Anti-Brexit-Partei aufgestellt und treten für eine Wiederholung des Referendums ein. Ihr Parteichef Tim Farron gelobte, „die Katastrophe des Brexit zu stoppen“. Als Galionsfigur eignet sich der 46-Jährige aber bisher kaum - dazu ist sein Bekanntheitsgrad nicht groß genug. Das mag sich freilich in dem nun beginnenden siebenwöchigen Wahlkampf ändern. Denn anders als Labour-Chef und Oppositionsführer Jeremy Corbyn wagt Farron es, mit deutlichen Worten eine Lanze für Europa zu brechen.

    Er will mit Tony Blair zusammenarbeiten. Eine Verbindung von Basisinitiativen, pro-europäischen Organisationen und Anti-Brexit-Gruppen soll in Allianz mit gleichgesinnten Abgeordneten, die in allen Parteien zu finden seien, vor allem zuerst Aufklärungsarbeit leisten. Wenn den Leuten, so die Hoffnung, die negativen Konsequenzen des Brexit nur deutlich genug vor Augen geführt werden, könnte genug gesellschaftlicher Druck entstehen, der die Regierung zum Umdenken bringt. Und wer weiß - die Hoffnung stirbt zuletzt: Vielleicht sogar ein zweites Referendum erzwingt.