Berlin. Schulz sprintet los, Merkel steht noch in den Startlöchern. Der Wahlkampf beginnt mit zwei sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Am 24. September, 18 Uhr, fällt das Urteil über Peter Tauber. Es ist der Abend der Bundestagswahl. Wird Bundeskanzlerin Angela Merkel abgewählt, dürfte unweigerlich auch der CDU-Generalsekretär seinen Schreibtisch im Konrad-Adenauer-Haus räumen. Bleibt die CDU an der Macht und Merkel im Amt, dann hat der Mann alles richtig gemacht und ihm gehört die Zukunft. Viele seiner Vorgänger wurden mit Kabinettsposten belohnt, zuletzt Gesundheitsminister Hermann Gröhe.

Taubers Problem ist, dass er für manchen in der Union schon vor der Wahl ein Verlierer-Image hat. Das Zutrauen in den 42-Jährigen ist nicht groß, auch wenn es nicht jeder so brutal auf den Punkt bringt, wie von Hartmut Schauerte aus einer Sitzung der Mittelstandsvereinigung kolportiert wird: „Tauber muss weg.“ Die Zweifel sind nicht neu, aber akut, weil die SPD mit Martin Schulz einen Lauf hat. Die Frage ist, wer sich sein Tempo richtig einteilt, der passionierte Langstreckenläufer Tauber oder doch seine Kritiker, die Merkel-CDU oder die Schulz-SPD?

Die SPD bringt Schulz groß raus, Tauber hat die Ruhe weg

Die SPD will Schulz am 19. März auf einem Sonderparteitag auf den Schild heben. Auch das Wahlprogramm soll im großen Stil am 25. Juni in Dortmund gefeiert werden. Alles geht ganz schnell, der designierte Merkel-Herausforderer hat Euphorie ausgelöst. „Martin Schulz begeistert die SPD und das Land“, frohlockt der „Vorwärts“.

Tauber hat die Ruhe weg. Gerade hat die CDU der Werbeagentur Jung von Matt den Zuschlag gegeben. In diesen Tagen berät man über so wichtige Signale wie über die Farbe des Balkens, auf dem die Namen der Kandidaten stehen. Er soll nicht mehr orangefarben sein. Schwarz-Rot-Gold ist angesagt.

Präsidien von CSU und CDU für Kanzlerkandidatur Merkels

weitere Videos

    Das Programm nimmt langsam Formen an. Gerade trudeln die Vorschläge der Fachpolitiker ein. Danach werden die Parteimitglieder befragt. Erst im Juli wird die Union ihr „Regierungsprogramm“ vorlegen und Merkel auf Wahlkampf-Modus schalten. Früher kann sie sich nicht vom Regieren freimachen. Ende Mai stehen ein Nato-Treffen und ein Weltwirtschaftsgipfel an, Mitte Juli ist sie als Gastgeberin der G-20 gefordert. In der Zwischenzeit kann Schulz ohne Regierungsamt und Sitz im Parlament punkten. Der Umfrageerfolg der SPD sei „schon eine Überraschung“, räumt Carsten Linnemann ein, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung. „Aber das wird nicht von Dauer sein, wenn wir als Union richtig reagieren.“ Wenn.

    Kampagne wird voll auf Merkel zugeschnitten sein

    CSU-Chef Horst Seehofer spürt die Ungeduld. Ein zu früher Beginn „bringt nichts“. Die Erwartung ist, dass sich der Hype um Schulz legen, der Herausforderer sich selbst entzaubern wird. Die CDU hilft nach. Unter dem Hashtag „#KandidatSchulz“ verbreitet sie über ihren Twitter-Account gelegentlich einen „Faktencheck“ über Schulz. Ist es Wunschdenken oder schon Strategie?

    Für einen Spätstart sprächen auch „Trump und der Brexit“, verrät ein Merkel-Vertrauter. Je turbulenter das Umfeld, desto größer die Angst, umso stärker die Sehnsucht nach Stabilität. Ein Vorstandsmitglied sagt, am liebsten würde Tauber zu Merkel auf Plakaten den Satz „Stabilität ist wählbar“ stellen.

    Schulz setzt in Arbeitsmarktpolitik auf Qualifizierung

    weitere Videos

      Linnemann gibt zu bedenken, dass es „nicht mehr reichen wird, die Kanzlerin zu plakatieren“. Die Kampagne wird trotzdem voll auf Merkel zugeschnitten sein. Ein zentrales Motiv werden die Ängste der Bürger sein; buchstäblich und vorneweg mit der inneren Sicherheit als Thema und Kernkompetenz der Konservativen. Ein Kernbegriff wird „Deutschland 2025“ lauten, als Kontrast zu Schulz und SPD, die sich immerzu an der „Agenda 2010“ abarbeiten, inzwischen im vierten Wahlkampf hintereinander. Außerdem will die CDU Wohltaten versprechen, etwa ein „Baukindergeld“ für junge Familien mit Kindern.

      Wahl im Saarland und in NRW gibt Aufschlüsse

      Demoskopen wie Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen bestärken Merkel in der Wartehaltung. Er interpretiert den Schulz-Effekt eher als „Neusortierung des linken Lagers“. Den größten Effekt sieht er nicht bei der Union, sondern bei Grünen und Linken, wie er unserer Redaktion erläuterte. Ein wesentlicher Teil erkläre sich dadurch, „dass die SPD von einem so niedrigen Niveau kommt. Die Partei ist durch ein extrem tiefes Tal der Tränen gegangen. Vor vier Jahren war ein Ergebnis um 30 Prozent noch normal“. Für den Demoskopen wird die Saarland-Wahl am 26. März erste Aufschlüsse geben, der „richtige Test“ sei die NRW-Wahl im Mai.

      Den Verbänden Saarland, Schleswig-Holstein und NRW ist die Entdeckung der Langsamkeit ein Gräuel. Mehr Dynamik, schlicht Rückenwind aus Berlin brauchen sie nicht erst im September, sondern im März oder Mai, wenn bei ihnen gewählt wird. Alle haben das Jahr 2013 als Warnung vor Augen. Damals hat die CDU erst in Niedersachsen eine Niederlage einstecken müssen, um dann im Herbst im Bund einen Sieg einzufahren. In den drei Verbänden grassiert die Angst, dass die Bundes-CDU nur ihre eigene Wahl im Auge hat.

      Schulz-Effekt und Trump-Wahl: Wie realistisch sind Umfragen tatsächlich?

      weitere Videos

        „Es spricht keiner aus, aber es schwebt im Raum“, erzählt ein Teilnehmer der gestrigen Vorstandssitzung. Der NRW-Spitzenkandidat und Merkel-Vize Armin Laschet warb in der Führung dafür, sich mit Schulz auseinanderzusetzen, gab sogar Tipps und empfahl Themen. Seit Schulz die Bühne betreten hat, drehen sich die Kräfteverhältnisse im größten Bundesland in rasender Geschwindigkeit. Laschet gerät ins Hintertreffen, ohne einen Fehler gemacht zu haben.

        Merkels Wahlkampf ist ein Hase-und-Igel-Rennen

        Ein Teil der Kritik an Tauber zielt auf Merkel, die Häme für Tauber gilt auch ihr. Das Kürzel „MMW“, vielen in der Union geläufig, steht für „Merkel muss weg“. Der Unmut über ihre Flüchtlingspolitik hat sich in Teilen der Union, gerade bei der CSU, nie gelegt. Insgeheim hat man sich darauf verständigt, das Thema besser auszuklammern.

        Ihre Wahlsiege erreichte Merkel zurückhaltend, ohne polarisierende Kampagne, scharfe Angriffe oder Schlachtenlärm. Vielleicht kann sie nur diese eine Art von Wahlkampf und überhört Weckrufe, unwillig oder unfähig, sich auf neue Situationen einzustellen. Ein Merkel-Wahlkampf ist als Hase-und-Igel-Rennen ausgelegt. Die Rollen sind verteilt, Schulz ist der Hase, er soll sich totrennen. Merkel ist und war gefühlt schon immer da, im Kanzleramt.

        Grobe Attacken sind nicht Taubers Stil

        Tauber passt zu Merkel, als zusätzliche Kompetenz bringt er seine Affinität zu sozialen Netzwerken ein. Vorzugsweise teilt er auf Twitter, Facebook und Instagram seine Leidenschaft für sein Hobby, das Laufen. Langstrecke. Grobe Attacken sind eher nicht sein Stil. Als er es versuchte und den FDP-Chef Christian Lindner mit dem AfD-Politiker Alexander Gauland verglich, war es den Parteifreunden auch nicht recht.

        Die letzten Generalsekretäre, die sich etwas getraut haben, hießen Heiner Geißler und Merkel. Geißler wurde von seinem Chef (Helmut Kohl) abgesägt, Merkel leitete mit einem Brandbrief in der Spendenaffäre das Ende Wolfgang Schäubles als CDU-Chef ein. Als sie Vorsitzende wurde, duldete sie neben sich keine Machtzentren.

        Tauber konnte nicht loslegen, weil Merkel nicht so weit war

        Wer Merkel dient, muss zurückstehen können. Zwei Anliegen von Tauber – eine Parteireform und ein Einwanderungsgesetz – wurden aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik zu Randepisoden. Seine Wahlkampfplanungen waren lange Zeit kaum mehr als Trockenübungen, weil Merkel ihre Kandidatur bis Spätherbst hinauszögerte und sich erst Anfang Januar mit der CSU versöhnte. „Wir als CDU bereiten weiter intensiv den Wahlkampf vor“, sagte Tauber in n-tv. Keiner kann so hinreißend vom Trainingslager der CDU erzählen wie er. Die SPD aber hat einen richtigen Lauf.