Ex-Senatorin steht auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl. Krista Sager verabschiedet sich nach 30 Jahren aus der Politik.

Wandsbek. Langweilig sind Parteitage der Grünen ohnehin eher selten. Aber so eine emotionale Versammlung wie am Sonntagnachmittag im Bürgersaal Wandsbek haben die Mitglieder lange nicht erlebt. Totenstille herrschte zu Beginn, als die knapp 200 Grünen mit einer Schweigeminute und bewegenden Rede ihres verstorbenen Parteifreunds Ronald Preuß gedachten. Der 46-Jährige, der 16 Jahre lang Fraktionsvorsitzender in der Harburger Bezirksversammlung war, war vor einer Woche völlig überraschend gestorben. "Das war für uns alle ein Schock", sagte sein Stellvertreter Kay Wolkau und schloss: "Ronald, dein Platz wird für immer leer bleiben."

War vielen Grünen danach überhaupt nicht mehr nach Politik zumute, herrschte fünf Stunden später schon wieder eine ausgelassen-heitere Stimmung. Zu den Klängen von AC/DC "Hells Bells", der Einlaufhymne "ihres" FC St. Pauli, wurde Krista Sager nach mehr als 30 Jahren Politik verabschiedet. Die frühere Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin in der ersten rot-grünen Koalition in Hamburg (1997 bis 2001) gehörte dem Bundestag seit 2002 an und möchte sich nach der Wahl im September mit dann 60 Jahren aus der Bundespolitik zurückziehen. Zusammen mit Ehemann Manfred Ertel - Aufsichtsratschef des HSV - plant sie eine lange Reise, unter anderem in die Antarktis. Als Abschiedsgeschenk gab es von der Partei eine St.-Pauli-Tasche, aus der ein Stoff-Pinguin guckte.

Es falle ihr nicht leicht, kein Mandat mehr anzustreben, sagte Sager. Aber sie habe 2010 den Ausstieg aus der schwarz-grünen Koalition in Hamburg befürwortet, und das habe halt vielen Parteifreunden die Ämter genommen, insofern sei es nur gerecht, wenn sie jetzt ihren Platz freimache. Mit Blick auf ihre "Nachfolgerin" Anja Hajduk sagte Sager: "Anja will in den Bundestag, und da gehört sie auch hin."

Die 49 Jahre alte frühere Stadtentwicklungssenatorin und heutige Bürgerschaftsabgeordnete wurde mit 77,6 Prozent der Stimmen auf Platz eins der Landesliste nominiert. Ihre Rückkehr in den Bundestag - Hajduk war bereits von 2002 bis 2008 Abgeordnete in Berlin - gilt damit als sicher. Den ebenfalls aussichtsreichen Listenplatz zwei sicherte sich der aktuelle Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin. Der 31-Jährige, der die Grünen-Mitglieder mit seiner kurzen Rede begeisterte, erhielt 87,6 Prozent der Stimmen. Sein Gegenkandidat Friedrich Wilhelm Merck, 67, kam nur auf drei der 194 Stimmen.

Auf Platz drei, der aber wohl erst bei einem Wahlergebnis von mehr als 20 Prozent für die Grünen zum Tragen käme, steht die Parteivorsitzende Katharina Fegebank - die 35 Jahre alte Bürgerschaftsabgeordnete erhielt 85,3 Prozent. Eine Überraschung gab es im Kampf um Platz vier, den der 21 Jahre alte Maximilian Bierbaum mit 73 zu 58 Stimmen gegen den Bürgerschaftsabgeordneten Anjes Tjarks, 31, gewann. Dieser setzte sich aber auf Platz sechs durch. Dazwischen wurde Anna Gallina, 29, auf Rang fünf platziert. Platz sieben nimmt Katja Husen ein.

Fegebank hatte sich in ihrer Auftaktrede "enttäuscht" gezeigt von der aktuellen Umfrage im Auftrag des Abendblatts. Demnach würde die allein regierende SPD unter Bürgermeister Olaf Scholz derzeit auf gut 51 Prozent kommen und die Grünen auf 13 Prozent - für beide ein leichter Zuwachs. "Ich hatte schon erwartet, dass sich Risse zeigen in der Alleinregierung", sagte Fegebank. Wichtig für die Grünen sei, nicht blind auf den beliebten Senat einzuhauen, sondern Alternativen aufzuzeigen. Dann werde es für Scholz schwer, einfach weiter gemäß des Udo-Lindenberg-Songs "Ich mach mein Ding" zu handeln.

Auch Fraktionschef Jens Kerstan warf dem Bürgermeister vor, gar keine Veränderungen zu wollen, "wenn, dann nur in Tippelschritten". Scharf wandte sich Kerstan gegen das von Energiekonzernen geplante Fracking im Süden und Südosten der Hansestadt. Dabei wird Gas mithilfe von Chemie aus tiefen Gesteinsschichten herausgepresst. "Wie kann man in einer Millionenmetropole auf die Idee kommen, Gift in die Erde zu pumpen, um Erdgas zu gewinnen?", fragte Kerstan.

Ex-Justizsenator Till Steffen ging kritisch mit seiner Partei ins Gericht. Man müsse fragen, was man besser machen könne als vor der als Niederlage empfundenen Bürgerschaftswahl 2011. Als Konsequenz forderte er, selbstbewusst Themen zu besetzen, zum Beispiel die Nachverdichtung der Stadt, die zu geringen Studienplatzkapazitäten oder die Lärmbelastung der Anwohner von Hauptverkehrsstraßen. Steffen: "Wir müssen klarer werden, präziser formulieren und mit anschaulichen Beispielen argumentieren."

Weil die Aufstellung der Liste sich über sechs Stunden hinzog, wurde die geplante Debatte über neue Elemente der direkten Demokratie wie Volksbefragungen auf Mai verschoben. Emotional könnte es dann auch werden - das Thema ist parteiintern umstritten.