Seit September hat Neu Wulmstorf einen Waldkindergarten. Eltern entscheiden sich dafür, damit ihre Kinder naturverbunden aufwachsen

Joris, 3, und Jakob, 3, brechen ein paar Zweige von Sträuchern ab, zerpflücken sie und lassen sie in die Schubkarre fallen. „Das ist unser Essen“, sagt Jakob. „Es gibt Pooooommes!“, rufen sie laut. Währenddessen hält Benjamin, 3, einen Stock an einen Baumstamm und imitiert eine Motorsäge. Ein paar Meter weiter rollt sich Lilly, 3, einen Berg runter. Zweige werden zu Pommes, Berge zu Turnmatten, Stöcke zu Sägen – für die „Waldbären“ ist die Natur das beste Spielzeug.

Die Waldgruppe ist die einzige in der Gemeinde Neu Wulmstorf. Deutschlandweit entstehen immer mehr Natur- und Waldkindergärten. Längst spiegelt sich der Trend zurück zur Natur nicht mehr nur in den Special-Interest-Zeitschriften wie beispielsweise Landlust. Auch die Waldpädagogik ist in der Kindergartenlandschaft inzwischen fest verankert. Vor 15 Jahren gab es lediglich etwa 300 Einrichtungen. Jetzt sind es schätzungsweise 1500 Waldkindergärten und –gruppen, Tendenz steigend. Eine Bewegung, die vor allem von den Eltern ausgeht. „Viele Mütter und Väter wollen, dass ihr Nachwuchs wenigstens in den ersten Lebensjahren eine Beziehung zur Natur herstellt und hoffen, dass es die Kinder langfristig prägt“, sagt Wiebke Warmbold, die im Beirat des Bundesverbandes für Wald- und Naturkindergärten sitzt.

In Neu Wulmstorf ist die Waldgruppe aus einem Expansionswillen heraus entstanden. Ursprünglich wollte sich der Kindergartenverein Heidebären an seinem Standort in der Grundschule an der Heide ausdehnen. Doch es blieb beim Wunsch, weil es für die Erweiterung an Räumen fehlt.

Dann absolvierte eine Erzieherin der Heidebären eine Fortbildung zur Naturpädagogin. Somit war die Idee für eine Waldgruppe geboren. Die Gemeinde war leicht zu begeistern. „Es hieß gleich: Ja, das machen wir. Es gab gar keine Diskussion“, sagt Christiane Heer-Michalsky, die Leiterin des Kindergartens. Mit der neuen Waldgruppe hat Neu Wulmstorf außerdem ein weiteres Aushängeschild als familienfreundliche Gemeinde.

Das Grundstück an einem Berg im Waldstück der Fischbeker Heide gehört der Gemeinde, was die Umsetzung der Idee beschleunigte. Damit sich die Kinder bei unzumutbaren Wetterkapriolen zurückziehen können, lieferte die Firma LRD Service in Harsefeld einen Bauwagen und erfüllte darin besondere Wünsche, wie etwa einen hochklappbaren Tisch.

Seit September 2014 besteht die Waldgruppe, die an den Kindergartenverein Heidebären in Neu Wulmstorf angeschlossen ist. Die insgesamt 15 Kinder werden an zwei bis vier Tagen pro Woche bis 15 Uhr betreut. Der Tag im Wald dauert zwar nur bis 12 Uhr. Wenn die Eltern aber einen Betreuungsbedarf bis in den Nachmittag haben, gesellen sich die Waldbären dann zu den Heidebären in der Grundschule an der Heide.

Der Tag der Waldbären beginnt um acht Uhr morgens auf einem Sandparkplatz am Ortsrand. Nach einer kurzen Begrüßungsrunde geht es in die Fischbeker Heide. Den Weg zum Areal im Wald kennen die Kinder schon. Wer will, rennt voraus, aber nur bis zu einem vereinbarten Haltepunkt, an dem das Kind auf die Erzieher warten muss.

Motorisch werden die Kleinen stark gefordert. Der Waldboden ist uneben und weich. Sie straucheln über Stöcke, plumpsen in Löcher, die Tiere gegraben haben. Tränen folgen auf die Stürze nicht. Die Kinder sind einiges gewohnt. Es ist erwiesen, dass Bewegung das Lernen fördert. „Über die Motorik bilden sich weitere Fähigkeiten aus. Kinder, die viel sitzen, lernen schlecht“, sagt Christiane Heer-Michalsky.

Die größte Herausforderung aber ist das Wetter. Die Kinder sind Regen, Schnee und Wind viel intensiver ausgesetzt. Aber wie heißt es so schön: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung. Klar, dass Regenhosen, Regenjacken, Gummistiefel und Mütze zum Outfit gehören. Auch die Verpflegung muss naturgerecht sein. Kein süßes Obst wie etwa Äpfel, um nicht Wespen oder Ameisen anzulocken, statt dessen Gemüse, Brot, Würstchen.

Die Kinder kommen mit viel weniger Spielzeug aus, müssen mit Naturmaterialien vorlieb nehmen. Statt bunte Girlanden, basteln sie Kränze aus Efeu und Ästen, bauen Tipis, buddeln im Sand und klettern auf Steinhaufen. Jeder Tag wird zum Abenteuer. Das Schöne daran: Der Wald schluckt den Lärm, so dass der Geräuschpegel deutlich unter dem im Gruppenraum in der Kita liegt.

So ganz ohne Papier und Klebe geht es im Wald aber auch nicht. Die Naturpädagogen Tanja Paulsen sitzt auf einem Baumstamm und holt ein paar Kinder zu sich. Mit ihnen bastelt sie kleine Katzenköpfe mit Augen, Nase, Mund und Schnurrbart. Ganz nebenbei erfahren die Kinder, dass die Katzen eine raue Zunge haben, um ihr Fell zu putzen. Sie präsentieren stolz ihre Ergebnisse und wenige Minuten später sind sie schon wieder im Wald unterwegs, buddeln im Sand, greifen sich Stöcke oder balancieren auf Holzstämmen.

Auch die Leiterin Christiane Heer-Michalsky hat die Erfahrung gemacht, dass viele Eltern ihre Kinder bewusst bei den Waldbären anmelden, um sie naturverbunden aufwachsen zu lassen. „Dinge können im Wald und in der Natur entschleunigt werden. Das ist attraktiv“, so die Leiterin.