Brüssel. Zur Europawahl liefern sich Parteien in Deutschland einen Wettlauf um ungewöhnliche bis verrückte Ideen. Es könnte sich lohnen.

Wahlversprechen gibt es viele, aber dieses hier ist kaum zu übertreffen: Zur Europawahl am 9. Juni verheißt eine deutsche Kleinstpartei den Wählern nichts weniger als ein Leben von mehreren Hundert Jahren nach Art des biblischen Methusalem (starb angeblich mit 969 Jahren). Ja, sie wirbt sogar mit der Aussicht auf ewiges Leben. Mit ihrer Politik könnten „Menschen Tausende Jahre gesund leben“, der altersbedingte Tod wäre damit kein unausweichliches Schicksal mehr, behauptet die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung in ihrem Wahlprogramm.

Noch nie gehört? Kein Wunder, die erst 2015 gegründete Partei hat nur wenige Hundert Mitglieder, bei der letzten Europawahl kam sie auf 0,2 Prozent der Stimmen. Die Ein-Themen-Partei, die das Altern abschaffen will, steht für das wohl skurrilste Versprechen zur Europawahl. Aber im Club der visionären Kandidaten ist sie nicht allein: Am 9. Juni treten hierzulande eine Reihe von Kleinstparteien auch mit originellen, radikalen und mitunter sehr schrägen Vorschlägen an: Vom Weltraumfahrstuhl über die Bierpreisbremse bis zur 30 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für alle.

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Die fantasievollen Programme könnten sich für die Parteien lohnen: Weil es anders als bei Landtags- und Bundestagswahlen in Deutschland für die Europawahl (noch) keine Sperrklausel gibt, reichten bei der Abstimmung vor fünf Jahren schon bundesweit 240.000 Stimmen (0,7 Prozent), um einen der 96 deutschen Abgeordnetensitze plus Mitarbeiterstab zu ergattern; aktuell sind daher 14 deutsche Parteien im EU-Parlament vertreten, doppelt so viele wie im Bundestag.

Europawahl: 40 Milliarden Euro jährlich für Forschung an „Verjüngungstherapien“

Auch die etablierten Parteien versprechen im Wahlkampf so manches, doch wem die Wähler eine Machtperspektive verleihen, muss damit rechnen, dass die Ankündigungen auf Realisierbarkeit abgeklopft werden – entsprechend trocken lesen sich viele ihrer Programme. Das ist der Vorteil der Kleinstparteien: Sie können Visionen und radikale Ziele verkünden, ohne sich durch widrige Hindernisse in der Realität bremsen zu lassen.

Ein Plakat der Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung zur Europawahl.
Ein Plakat der Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung zur Europawahl. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Stefan Zeitz/Geisler-Fotopress

Die Verjüngungspartei etwa hat ein einfaches Konzept: Die EU müsste nur mit zusätzlich 40 Milliarden Euro jährlich die Forschung zur Bekämpfung von Alterskrankheiten vorantreiben, konzentriert auf „Verjüngungstherapien“ zur Reparatur von beschädigten Körperzellen, dann könnten die Menschen Tausende Jahre gesund leben. Damit sich Wähler aller Altersklassen einen Vorteil erhoffen können, rechnet die Partei so: Mit ausreichend Forschung müssten Menschen schon in zehn bis 20 Jahren nicht mehr an Alterskrankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben.

Innerhalb dieser 20 Jahre wäre die Medizin so weit entwickelt, dass auch ältere Menschen mit gewonnenen Lebensjahren noch erleben, wie sie durch kontinuierlich verbesserte Therapien wieder ein paar Jahrzehnte länger dem Tod ein Schnippchen schlagen können – und so weiter. „Wenn wir das schaffen, könnten Menschen unbegrenzt lange leben“, verspricht die Partei. „Dabei hätten sie das Aussehen und die körperliche sowie geistige Gesundheit und Fitness eines jungen Erwachsenen. Das Altern wäre damit heilbar.“

Zwangs-Veganisierung: V-Partei will den Fleischkonsum in Europa stoppen

Dem Stand der Forschung entspricht das kühne Programm zwar nicht, die große Mehrzahl der Wissenschaftler geht bislang davon aus, dass der Mensch nicht viel älter als etwa 120 Jahre werden kann, doch liegt der Traum vom langen Leben immerhin als Modethema „Longevity“ gerade im Trend. Ob die Verjüngungspartei mit der V-Partei (Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer) einen Verbündeten hätte?

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Die V-Partei will Tierrechte einführen, die Nutztierhaltung beenden, den Fleischverzehr in Europa stoppen: Die gesamte Landwirtschaft soll auf bio-vegan umgestellt werden. Fleisch und andere Tierprodukte dürften in Europa nicht hergestellt und auch nicht mehr importiert werden. Süßigkeiten und Fast-Food würden verdrängt: Nach dem Willen der V-Partei sollen hochwertiges Obst, Gemüse und andere gesundheitsfördernde Lebensmittel immer günstiger angeboten werden als Bonbons und Burger.

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Die Partei Menschliche Welt will ebenfalls die Massentierhaltung abschaffen, vor allem aber für Achtsamkeit im Europaparlament sorgen – indem sie dort überparteiliche Kurse für Meditation und Yoga anbietet, um Denken und Handeln der verantwortlichen Politiker auf das Wohlergehen aller auszurichten.

Piraten-Partei wirbt mit Seil-Lift vom Äquator bis zum geostationären Orbit

Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) ist zwar eine revolutionäre Arbeiterpartei, aber auch ohne Revolution verspricht sie zur Europawahl in ihrem ansonsten sehr allgemein formulierten Programm die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Die Partei der Vernunft will das Ende des bisherigen Geldsystems einläuten: Euro, Dollar & Co. würden abgelöst von freiem Marktgeld ohne staatliches Monopol und von beliebig vielen Anbietern.

Mit dem Lift zum Mond? Kein Problem: Auch ein Weltraumfahrstuhl wird zur Europawahl von einer Partei angeboten.
Mit dem Lift zum Mond? Kein Problem: Auch ein Weltraumfahrstuhl wird zur Europawahl von einer Partei angeboten. © iStock | GettyTim82

Auch die Piraten-Partei, die mit einem deutschen Abgeordneten im Europaparlament eine durchaus seriöse Adresse vor allem beim Datenschutz ist, hat einen Hang zum Visionären: Im Wahlprogramm macht sie sich stark für einen „Weltraumfahrstuhl“. Erläutert wird das nicht, doch Kenner wissen, dass es sich um die Idee eines Seil-Lifts vom Äquator bis zum geostationären Orbit in 35.000 Kilometer Höhe oder auf den Mond handelt.

Die Vorstellung fasziniert kreative Denker und Forscher seit 130 Jahren immer mal wieder, gelegentlich wird sie in Science-Fiction-Romanen ausgeleuchtet, doch zu ernsthaften Versuchen ist es nie gekommen. Die Piraten versprechen aber, solche Projekte würden „die Entwicklung radikal neuer Technologien und Materialien anregen“.

Die Partei fordert in ihrem Wahlprogramm eine Preisbremse für Bier und Döner

Angesichts der fantastischen Programme hat es die Satire-Partei Die Partei nicht leicht, mit ihren überhaupt nicht ernst gemeinten Vorschlägen noch Aufmerksamkeit zu erringen: Zur Europawahl hat sich die Partei um Ex-Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn unter anderem eine Preisbremse für Bier und Döner, eine Zweistaaten-Lösung für Deutschland (Ost und West) und das Einser-Abi für alle auf die Fahnen geschrieben. Klingt nicht realitätsferner als andere Vorschläge hier und da, das Politikmodell reicht aber seit 2014 für ein Abgeordnetenmandat in Brüssel und Straßburg, zuletzt sogar für zwei Sitze.

Ein riesiges Plakat, das die bevorstehende Europawahl ankündigt, hängt an der Fassade des Gebäudes des Europäischen Parlaments im französischen Straßburg.
Ein riesiges Plakat, das die bevorstehende Europawahl ankündigt, hängt an der Fassade des Gebäudes des Europäischen Parlaments im französischen Straßburg. © DPA Images | SEBASTIEN BOZON

Den Parteien, die einen solchen Sprung ins Parlament nicht schaffen, könnte noch die Wahlkampfkostenerstattung winken. Darauf hat eine Partei schon ab 0,5 Prozent der Stimmen Anspruch – die Schwelle wird bei der Europawahl erfahrungsgemäß erreicht, wenn je nach Wahlbeteiligung zwischen 150.000 und 200.000 Wähler ihr Kreuz an der richtigen Stelle machen. Dann überweist der Bund jährlich 1,13 Euro pro Stimme (erst ab vier Millionen Stimmen wird der Betrag auf 0,93 Euro reduziert).

Es liegt auf der Hand, dass die etablierten Parteien der Hauptprofiteur der Regelung sind, mit den Millionensummen finanzieren sie ihre umfangreichen Wahlkämpfe und professionellen Apparate. Aber wenn alles klappt, eine Kleinstpartei die 0,5 Prozent-Grenze überschreitet und einige formale Vorschriften beachtet, dann hat sich die Kandidatur auch für Bewerber aus der Amateurliga gelohnt, für die Politik noch kein Beruf ist: Über die gesamte Wahlperiode hinweg gäbe es für 200.000 Stimmen schon 1,1 Millionen Euro – mit Glück und Geschick auch ganz ohne Profis und kostspielige Kampagne.

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