Halle. Im Verfahren gegen den Thüringer AfD-Chef ist am Abend das Urteil gefallen. Zuvor suchte Höcke aber noch einmal die große Bühne.

Das Personal führt an der Schleuse zum großen Verhandlungssaal akribisch die Personenkontrollen durch. Auch am Abend wird noch kontrolliert, wer wieder in den Gerichtssaal möchte. Dann wird ein letztes Mal die Schicht getauscht. Denn im Justizzentrum Halle geht der Prozesstag schon in seine zehnte Stunde – in Halle werden Überstunden gemacht, weil noch ein mit Spannung erwartetes Urteil verkündet wird. Als Angeklagter kommt der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke an diesem Dienstag zum vierten Mal in das Justizzentrum, das passenderweise in der Thüringer Straße in Halle liegt. Und er verlässt es als Verurteilter.

Weil der 52-jährige Politiker die verbotene Parole „Alles für Deutschland“ verwendet hat, spricht ihn die Große Strafkammer des LandgerichtsHalle schuldig. Und: Wird das Urteil rechtskräftig, dann ist Höcke vorbestraft. Denn Höcke wird zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 130 Euro verurteilt und er muss auch die Kosten des Verfahrens tragen.

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Höcke sucht noch einmal die große Bühne

Höcke nutzt den letzten Verhandlungstag als Bühne für sich und muss in seinem letzten Wort sogar ermahnt werden, „zur Sache“ zu reden und keine Wahlkampfrede zu halten. So energisch und konsequent Richter Jan Stengel die Verhandlung über vier Prozesstage geführt hat, so sehr lässt er es dann aber doch geschehen, dass der 52-Jährige eben kein typisches Schlusswort hält, sondern das Recht auf das „letzte Wort“ für eine Mischung aus Opferdarstellung und Wahlkampfrede nutzt. Fast flehend endet er und „bittet um einen Freispruch“. Er sei schließlich vollkommen unschuldig.

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Staatsanwalt Bernzen zeigte sich überzeugt: „Der Angeklagte will auch weiter ‚Alles für Deutschland‘ sagen dürfen. Darauf kann vorliegend nur mit einer Freiheitsstrafe reagiert werden.“ Die Ankläger fordern deshalb sechs Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung und eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro. Höckes Verteidigung widersprach in ihren Schlussvorträgen vehement, alle drei Verteidiger sprachen dazu.

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Thüringen: Landtagswahl in dreieinhalb Monaten

In Thüringen wird in dreieinhalb Monaten ein neuer Landtag gewählt. Die vom Verfassungsschutz in Thüringen als erwiesen rechtsextremistisch eingestufte AfD führt in den Umfragen derzeit mit Werten um die 30 Prozent und könnte erstmals stärkste Kraft werden.

Doch darum geht es in dem Prozess eben gerade nicht. Der dreht sich um eine Wahlkampfrede Höckes, die er im Sommer 2021 unmittelbar vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gehalten hat. In Merseburg kam am Schluss seiner Rede die Losung „Alles für Deutschland“ vor, die er in Verbindung mit „Alles für unsere Heimat, Alles für Sachsen-Anhalt“ an die dritte Stelle gesetzt hat. Höcke hat mehrfach betont, dass er mit solchen Stilmitteln sehr oft am Ende seiner Reden arbeite.

Ankläger überzeugt: „Fundierter NS-Sprachschatz“ bei Höcke

Doch schützt ihn das vor einer Strafe? Staatsanwalt Benedikt Bernzen verneint das in seinem Schlussvortrag. Er kommt zu der Annahme, dass Höcke vorsätzlich und wissentlich gehandelt habe und fordert eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten und, dass Höcke eine Geldauflage von 10.000 Euro bezahlt. Der Schlussvortrag des Anklägers gerät zu einer Generalabrechnung mit Höcke und seinen Reden in der Vergangenheit. „Der fundierte NS-Sprachschatz des Angeklagten deutet auf Täterwissen hin“, sagt Bernzen. Höckes Reden seien „gezielte, planvolle Grenzüberschreitungen, um vermeintliche Denk- und Sprecherverbote aufzugreifen“.

Der letzte Prozesstag in Halle schleppt sich bis in den frühen Abend, weil die Höcke-Verteidigung überraschend am Morgen noch einen Zeugen aus dem Hut zaubert. Der Göttinger Historiker Karlheinz Weißmann ist Mitbegründer des „Institutes für Staatspolitik“ in Schnellroda. Dessen Betreiber Götz Kubitschek gilt als Höckes geistiger Einflüsterer. Weißmann gibt vor Gericht an, dass er schon vor vielen Jahren aus dem „IfS“ ausgeschieden und überdies Höcke „nur einmal“ begegnet sei, als dieser noch junger Lehrer war. Weißmann sagt, dass die Parole „Alles für Deutschland“ aus seiner Sicht nicht als zentrale Losung der SA angesehen werden könnte. Gleichwohl habe sie in der „SA“ Verwendung gefunden.

Weitere Prozesse stehen an

Seine Vernehmung ist damit nur die Einleitung für drei lange Plädoyers der Höcke-Verteidiger über fast zwei Stunden. Dass die Schlussvorträge der drei Verteidiger einer Dramaturgie folgen, wird spätestens klar, als mit Ulrich Vosgerau der dritte Höcke-Anwalt das Wort macht. Während Ralf Hornemann noch vor allem die Staatsanwaltschaft attackiert und Anwalt Philipp Müller versucht darzulegen, wie schwierig es sei, dass bei einem Björn Höcke ohne Ansehen der Person geurteilt werden könne, geht Vosgerau einen ganzen Schritt weiter: „Wenn hier eine Verurteilung erreicht werden sollte, dann würde ich den Fall hochtreiben bis zum Bundesverfassungsgericht und dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.“

Ob dieser Ankündigung Taten folgen? Für Höcke ist es so oder im Thüringer Wahljahr nicht die letzte Begegnung vor Gericht. Ein weiteres Verfahren vor dem Landgericht Halle ist anhängig. Und auch vor dem Landgericht Mühlhausen wird sich Höcke noch in diesem Jahr verantworten müssen. Möglicherweise noch vor der Landtagswahl.

In Halle aber gehen am Dienstag nach einem mittlerweile fast zwölfstündigen Prozesstag langsam die Lichter aus. Es ist spät geworden am Justizzentrum, als die letzten Besucher das Gebäude verlassen. Sie werden freundlich verabschiedet von den Justizbeamten, die über vier Prozesstage ein Verfahren unter verschärften Auflagen betreut haben und jetzt in den Feierabend gehen.